Seit 4:49 Uhr hat auf der Nordhalbkugel der Frühling begonnen. – System reset. Der Zukunftsforscher Matthias Horx spricht über „Future Mind“, einem neuen Zukunfts-Bewusstsein. Sein Artikel erreichte mich gestern und lässt mich seitdem nicht mehr los, finden sich darin doch viele Gedanken wieder, die mich nicht nur momentan, sondern schon seit einigen Monaten umtreiben. Wie wird sich unsere Welt verändern mit dieser Krise, die so sehr in unsere Wirtschaft und unser Gemeinwesen hineingreift?

„Die Welt as we know it löst sich gerade auf.“ Das stimmt, aber das bereitete sich schon lange vor. Wir Modemacher sind manchmal ganz nah am Puls der Zeit, da wir uns mit den Trends der Zukunft beschäftigen. Wir sind natürlich nicht die einzigen, das Wort „disruptive“ wurde auch an anderen Stellen bemüht.

Aber es war schon in Paris im September und nun im Februar deutlich etwas Neues zu spüren unter den kleinen exklusiven Manufakturen: Wir wollen unsere Welt ein wenig besser machen, inniger, nachhaltiger, gefühlter. Wir wollen zusammenstehen. Und diese Stimmung überträgt sich nun auf uns hier hinter den geschlossenen Türen. Melle und Monique nähen, aber wir sprechen viel, wir sind nicht Mitarbeiter und Chefin, sondern ein Team, das füreinander da ist. Carmen von zuhause ist da keineswegs ausgeschlossen. Wir telefonieren und lachen, genauso wie ich es mit meinen Töchter täglich tue.

Matthias Horx spricht in seinem Artikel von einem historischen Moment der „Tiefenkrise“, in der die sozialen Verzichte keineswegs zu einer Vereinsamung führen, sondern im Gegenteil zu einem neuen Miteinander. Wie ich es geschrieben habe: Wir füllen die Freiräume zwischen uns und geben der Distanz eine neue innige Qualität. Das klingt paradox, ist es aber nicht, es hat etwas mit Haltung zu tun, mit Höflichkeit und Zuwendung, in der „Fake News“ und egoistisches „First-Denken“ keinen Platz mehr besitzen. „Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte?“ (Horx)

Die Einschränkung von sozialen Kontakten führt zu mehr Ruhe und damit auch zu längst überfälligen Sinnfragen: Wer sind wir? Und warum tun wir das, was wir tun? Ich wandere durch meine Räume in der MILCHSTRASSE 11 und habe meine Plätze, an denen ich nachdenke, die Zeit ein wenig zum Stehen bringe. Der Sessel von Bertoia am Fenster, der rote Fauteuil vor dem Kamin, mein Schreibtisch, im Atelier … Das Licht fällt unterschiedlich durch die Fenster, mal ist es still, mal rattern die Nähmaschinen, mal lachen wir uns kaputt. Es ist witzig, es ist feinsinnig, es ist irgendwie zutiefst ehrlich.

Vertraut spreche ich mit unserer Produktion im Erzgebirge, sie arbeiten noch, schicken heute etwas. Wir reden von der ortsnahe Produktion, die Horx „GloKALisierung“ nennt, die Lokalisierung des Globalen. Ich habe immer mich darauf konzentriert, global zu denken und lokal zu agieren. Roma e Toska war nie deutsch, sondern international, genauso wie die MILCHSTRASSE 11 überall auf der Welt sein könnte. Aber wir fertigen im Erzgebirge, unsere Lieferkette ist nah, europäisch.

Toska sitzt auf ihrer Fensterbank und plaudert über das Dach hinweg mit ihrem Nachbarn auf der anderen Fensterbank. Roma hat ihre Freundin Julie bei sich … Ich schicke den aktuellen Frühstücks-Report in die Runde und klopfe später aufmunternd der Schneiderin auf die Schulter, die gerade vor lauter Anspannung ein Knopfloch falsch gesetzt hat. Keine Tränen wert. Es ist eine Krise die vorbei geht und wir sind füreinander da. #bleibt gesund und #ichschreibeeuch

Hinweis: Auszüge aus: Matthias Horx, Die Welt nach Corona.