Der Titel darf in doppeltem Sinne verstanden werden: als Redewendung bezeichnet er den Austausch von Intimitäten hinter vorgehaltener Hand, und er ist das Stichwort für unseren gestrigen Talkgast, Claudia Hagge, die eine echte Pastorentochter ist und darüber ein Buch geschrieben hat. Dazu gibt es von ihr ein zweites Buch, Wir küssen nicht mehr jeden, eine Art Ratgeber für die Frau 50+. Besser kann es gar nicht passen am Valentinstag 2023.

Das obligatorische Foto, bevor die Gäste komme: drei Frauen, alle über die magische Altersgrenze 50 hinweg mit einem „+“ dazu. Kinder oder keine, Ehe(n) oder keine, auf jeden Fall ausgestattet mit dem nötigen Selbstbewusstsein, sich neu zu erfinden.

Ein vielversprechender Start für den regen Schlagabtausch an diesem Abend mit all den anderen intelligenten, erfolgreichen Frauen, die das Scheitern gelernt haben und das wieder aufstehen ebenso. Mit einer gewissen Lässigkeit wissen sie, dass das Leben meist nicht gradlinig verläuft.

Claudia Hagge erzählt von ihrem beruflichen Werdegang: Jura-Studium, dann Praktikum bei der BILD Zeitung. Wie sie sich resolut in die Redaktionsarbeit gedrängt hat. Ihr Metier, die Befragung von Menschen, das Zuhören. Es ist ihr vertraut seit der Kindheit, Rüstzeug der Pastorentochter, in deren Elternhaus, die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten ein-und-aus gingen.

In unterschiedlichen Positionen durchwanderte sie das Verlagswesen, berät und entwickelt Zeitschriften, eine davon wird MEINS, in dem es um das Lebensgefühl der Frauen geht, die das Wort „älter“ oder gar „alt“ nicht unbedingt für sich gelten lassen wollen.

Es gibt so viele Varianten von uns, die das Geburtsdatum nebensächlich machen. Was uns vielleicht eint, ist, dass wir auf eine ganze Menge Leben zurückblicken, ein wenig entspannter die einen, eine wenig rebellischer der anderen. Doch nicht jede besitzt den Mut, noch einmal völlig neu zu beginnen oder sich radikal zu wandeln.

Uns fehlen meist auch die Vorbilder für ein neues Muster 50+. Unsere Mütter in diesem Alter kamen uns entsetzlich „alt“ vor, sprachen von ihrem „Lebensabend“, gingen in ihrer Rolle als Großmutter auf. Und wir? Was machen wir mit den nächsten zwanzig-dreißig Jahren?

Und wie steht es mit dem Verlieben, der Suche nach „Mr. Wright“, wie es Claudia Hagge in ihrem Untertitel nennt. Spätestens ab jetzt wird es lebhaft und kontrovers in der Runde.

„Jede Frau blickt auf ihre eigene Liebesbilanz“, steht es in ihrem Buch. Und zwei Seiten weiter heißt es: „Nie waren Frauen in dieser Lebensphase schöner, freier und selbstbestimmter als heute.“

Finde ich genauso, liefere als Designerin die „Hülle“ dafür, mit der sie sich zeigen können, souverän auftreten, lernen sich wertzuschätzen. Jede Veränderung fängt bei einem selbst an.

Aber Mr. Wright? Warum nicht, finden die einen amüsiert und neugierig. Auf der anderen Seite gibt es die Bedenkenträger, die es gern moderner sehen würden, variantenreicher, es kann auch eine Frau sein, in die man sich verliebt, und ich pläderiere für das erfrischende Experiment von „Mr. Half-Right“, klingt herrlich turbulent und widerspricht dem „gereift“, das mir nie behagte.

Mein Tipp: Claudia Hagge, „Wir küssen nicht mehr jeden“, ein kurzweiliges kluges Buch, das ich gern gelesen habe. Claudia sollte daraus ein kleine Reihe werden lassen mit ihrer Gabe, präzise zu beoachten und journalistisch pointiert wiederzugeben. Alles hat dafür seine Anfänge, wie man nachlesen kann: „Unter uns Pastorentöchtern“, Lübbe Verlag, 2019.

Nächsten IT’S A DIENSTAG, den 21.2.2023, ab ca. 17:30 Uhr, geht es um die Erfindung des „Fernwehs“ und die Kulturgeschichte des Reisens. Es gibt einen konkreten Anlass dafür, den verrate ich jedoch nicht, und es gibt ein paar versierte Gäste, die mich bei meinen Erzählungen unterstützen. Dazu zeigen wir ein paar Unikate aus meinen frühen „Fernweh“-Kollektionen (Waterscape, Eisbären, Georges Méliès). Anmeldungen unter: info@romaetoska.de