Dieses Mal ist es eine kleine eingeschworene IT’S A DIENSTAG Truppe, die sich über das Briefschreiben unterhält. Die Sängerin hatte wegen Krankheit abgesagt, ich bin in die Lücke gesprungen, um über mein Lieblingsthema zu erzählen: die Kommunikation mit geschriebenen Worten, einer Kunst und Alltagspoesie, die vom Aussterben bedroht ist, verdrängt von Textmessages & Co. Was glaubt Ihr, wieviele Emails täglich weltweit geschrieben werden? (Antwort am Ende).
Die Geschichte der Briefe ist über 2.000 Jahre alt. Erstmals wird sie bei Homer in der Ilias im 8. Jahrhundert v.Chr. erwähnt. Die versiegelten Schrifttafeln führten schon dort zur Verwirrung. Ein gängiges Motiv, das sich durch die Jahrhunderte fortsetzt, wir denken nur an Shakespeare mit Romeo und Julia, an Kafka und sein vergebliches Brautwerben oder an unsere eigenen missverstandenen Formulierungen.
Die Römer waren die ersten, die persönliche Briefe verfassten, mit Anrede und abschießender Grußformel, mit Inhalten, die in einigen Fällen zu Inkunabeln der Philosophie wurden. Interessanter Weise waren es viele Frauen, die schon früh schrieben. Das Analphabetentum lag bei ihnen unter 50%, niedriger als bei den Männern.
Petrarca, italienischer Dichter und Historiker, notierte im 14. Jahrhundert, dass seine größte Sorge beim Schreiben die richtige Ansprache an den Adressaten sei. Ein Brief ist immer ein Wagnis, denn er entsteht aus einer Abwesenheit heraus. Littera = Brief, der Begriff stammt von legere = lesen.
Bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein wurde der Brief gewertschätzt als eine förmlichere, bewusstere Form des Austausches als die mündliche Unterhaltung liefern kann. Man übte sich in der Kunst des Briefeschreibens, schuf dafür eigene Schulen, verfasste Leitfäden oder engagierte fremde Briefschreiber gegen Bezahlung.
Mit der Aufklärung im 16. Jahrhundert sprach man erstmals von dem „Homme de lettres“, und ich erlaube mir die „Femme de Lettres“ hinzuzufügen. Madame de Sévigné schrieb zur Zeit Ludwig XIV in Paris mehr als 1.300 Briefe und machte sich zur feinsinnigen und messerscharfen Beobachterin ihrer Epoche. Alexander von Humboldt schrieb gegen die Einsamkeit, John Keats für die Liebe, Emily Dickenson „… an die Welt, die mir nie Briefe schrieb.“
Jeder von uns hat eine Briefgeschichte zu erzählen, auch wenn die meisten schon lange keine Briefe mehr geschrieben haben. Ein Grund es wieder zu tun, die Situation des Schreibens suchen, die Ruhe finden, sich den oder die andere vorzustellen, an den/die der Brief gerichtet ist. Die Worte prüfen, die Sätze schärfen. Fehler zulassen. Manchmal passt eine ganze Welt auf ein Blatt Papier.
Jeder von den Gästen wählt einen oder zwei Umschläge aus, rosa, weiß, creme oder türkis und schickt mir später per SMS die Adressen der Adressaten. Allein das bedarf des Grübelns und Nachdenkens, an wen soll man schreiben, wer ist es wert? – Jeder Brief ist ein Geschenk.
Und so verabrede ich mich heute Morgen mit Jeannine Platz, der Kalligraphin und Künstlerin, unten an der Strandperle. Im Hintergrund der Hafen, vor uns die bunten Umschläge.
Sorgsam taucht sie die Feder in das Tintenfass, um dann mit Schwung die ersten Buchstaben auf das Papier zu schreiben. Toska Comtesse … und Roma Comtesse, meine Wahl, ich schreibe an meine beiden Töchter. Jeannine wünscht sich ein Foto von dem Brief, wenn er an dem fernen Ort eintrifft.
Ich diktiere die Namen, die Städte und dabei mache ich Fotos. Eine besondere Atmosphäre herrscht in dem kleinen Raum mit den Fenstern, um die der Frühlingswind streichelt. Hier beginnt die Reise Eurer Briefe.
Was wäre die Welt ohne Briefe? Stellen wir uns das doch einmal vor. Es wäre grausam, wir verlieren unsere Geschichte, zumindest die Details davon, die Reflexionen, das Prosaische, die Zeit, die Du und ich, die Ihr und Euch über Distanzen hinweg miteinander verbindet. Beim Schreiben auf Papier schaffen wir Dokumente über uns. Jeder Brief ist auch ein Brief an sich selbst.
Zum Schluss noch die versprochene Zahl: Es sind geschätzt 347,3 Millarden Emails, die täglich weltweit verschickt und gelesen werden. Kaum eine davon ist es wert, aufbewahrt oder gar erneut gelesen zu werden. Briefe steckt man dagegen in eine Schatuelle oder legt die warme Hand drauf, um mit ihnen einzuschlafen. Briefe verdanken ihren Ursprung in der Freundes-Liebe, wie Virginia Woolf schrieb.
Nächsten IT’S A DIENSTAG (4.4.2023) geht es um Frühjahrsmüdigkeit, Müdigkeit, richtige Ernährung … Wird spannend!
Schreibe einen Kommentar