…und Birgit, die Erzählerin, nur mit anderen Mitteln, würde ich am liebsten addieren. Unser gestriger Talkgast ist der renommierte Schauspieler Peter Lohmeyer. Wie funktionieren Lebensläufe? Wie wird man zu dem, was man ist? Ist es eine Kette von Zufällen? Leidenschaft? Die Poolstrasse ist gerammelt voll. Der kleine Rahmen und die Enge scheinen beinahe Voraussetzung, dass das Gespräch, wie so oft, überraschend persönlich wird.

Wie lebendig er erzählen kann, der Mann neben mir mit seinen markanten Gesichtszügen, der Brille des Intellektuellen und dem schlaksigen Körper des Sportlers. Es ist eine Mischung aus spröder Zurückhaltung, um die Spannung zu erhöhen, und vielschichtiger Fabulierfreude, so als würde man ein Buch erwartungsvoll öffnen und dann die Seiten durch die Finger gleiten lassen.

Ich hatte mir vorgenommen, ihn sorgfältig zu beobachten, und merke doch, wie ich automatisch in seine Bilderwelten abschweife: Da gibt es zunächst Peter, den Pfarrerssohn, der Zeitungen austrägt, mitten durch die Dortmunder Brennpunkt Szene, um sich ’ne Mark zu verdienen für’s Mofa.

Er will es launig halten, will, dass es mehr nach Zufall klingt als nach Bestimmung, wie sein Leben in die Schauspielerei führte. Es hört sich ganz und gar nicht nach Hollywood-Träumerei an. Jugendtheater, Schauspielschule, lieber in Bochum als in Hamburg, der „Perle“ (Ruhrpott-Slang: Liebe) wegen.

Er könnte jetzt in diesem Stil fortfahren, und es würde uns nicht langweilig werden. Was fesselt ihn an der Schauspielerei, will ich wissen. – Ob und wie sich eine Geschichte weitererzählen lässt, so seine Antwort: Wie sich damit ein Raum füllt mit Menschen, die zuhören. Können wir überhaupt noch zuhören? Er würde es spüren, wenn der Kerl in Reihe 5 es nicht mehr tut.

Und ja, er wäre schon kritisch, was die Wahl seiner Rollen anbelangt, antwortet er auf eine andere Frage. Der Kapitän des Traumschiffes, ein No-go. Winnetou bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg hat er auch abgelehnt, obwohl er reitet und sich um die Ecke ein Häuschen gekauft hat. Es muss schon stimmen, sonst lassen sich eben die Geschichten nicht (richtig) erzählen.

Schwierig in dem komplexen Geflecht des Film-Business wie Annegret Weitkämper-Krug (Gretchenfilm) einwirft: die Kosten, der Verleih, die fehlenden Kinobesucher, die abseits des Mainstreams suchen.

Und dann wird Peter unerwartet emotional und ausführlich. Ein kleines Filmprojekt begeistert ihn, eine Mutter-Tochter-Beziehung „Sprich mit mir“, so der Titel. Es war etwas komplett Neues für den dreifachen Vater (!). Lediglich € 120.000 Budget. Warum sieht sich das deutsche Publikum so was nicht an? In Frankreich wäre das etwas ganz anderes.

Mein Hinweis vorhin auf Hollywood hätte ich mir auch sparen können. Jetzt verstehe ich, worum es geht, nicht um den großen säbelrasselnden Entwurf, sondern um das, was ehrlich ist.

Die Zeit läuft, es gäbe noch so viel zu erzählen, seine Kunst, der Fussball, meintewegen auch die Frauen. Jedes Stichwort zieht einen Rattenschwanz von zusätzlichen Geschichten mit sich. Klar, ist so im Leben, geht mir ja nicht anders.

Lassen wir die Frauen weg, Fussball ist schnell abgehakt: drei Mal die Woche auf Kunstrasen, auf echtem Rasen, den Kopf freibekommen, im Team sein. Am liebsten hätte er hier gern weiter ausgeführt, und wir hätten ebenso begeistert weiter zugehört. Wer kennt nicht den Film „Das Wunder von Bern“ (2003), der sogar unter den Freunden meiner Tochter Toska Kult ist.

Aber Peter Lohmeyer will unbedingt noch über seine Kunst sprechen, von den Anfängen, als er in den Hotelzimmern die scheußlichen Deko-Bilder abhängte und dafür Packpapier mit Crêpeband an die Wand klebte und mit „Kritzeleien“ vollmalte, wie er es nennt.

Sieben Jahre spielte er in Salzburg den Tod in Hugo von Hoffmannsthals „Jedermann“. Sein Appartment dort war nur spärlich mobiliert, erneut eine Gelegenheit (diesmal auf weißem) Packpapier, die Wände vollzumalen. Was hat das auf sich mit der Kunst? Eine weitere Art zu erzählen? Die Flut der inneren Bilder loszuwerden?

Soeben wurde in der Hamburger Grundbuchhalle, einem Fritz Schumacher Bau von 1927 – 30 (Sievekingsplatz) eine Ausstellung von Peter Lohmeyer eröffnet mit dem Satz:

„Wenn Du magst, kannst Du morgen wiederkommen“

Ich war vor unserem Talk in dem versteckten, wunderschönen Bau mit seiner besonderen Aura im Inneren.

Spontan musste ich an eine meiner früheren Ausstellungen denken mit dem Schweizer Konzeptkünstler Rémy Zaugg: „Ein Bild ist nur eine Skizze, erst mit seiner Umgebung wird es zu einem Werk.“

Alles spielt hier mit, addiert sich: die Arbeiten von Peter, der Name von Frau Sommerer an der Tür, der Pfeil für den Fluchtweg, Heizkörper, Bänke, Feuerlöscher. „Weißt Du Peter, ich glaube, alles erzählt die Geschichte.“

Ein besonderer Abend, anregend, aufregend, weil sich überall noch ein ungesagtes Geheimnis verbirgt. Das macht den wahren Erzähler aus. Man kann nicht aufhören, ihm zuzuhören. PS: Wer eine Führung möchte, der kann sich direkt an Peter Lohmeyer wenden: www.lohmeyer-art.de