Des öfteren muss ich an einen Satz denken, den Queen Elisabeth zu ihrem 90. Geburtstag einmal sagte: ‚Wenn man alt ist, können sich andere nicht vorstellen, dass man einmal jung war.‘ – Mag sein dies gilt für viele, nur für eine gilt es nicht: Bettina Hagen, die mein Talk-Gast an dem gestrigen It’s a Dienstag war.

Sie sprudelt von dem Moment, an dem sie durch die Tür schreitet, steht hier-und-da, hilft mit den Getränken, begrüßt die Gäste, lächelt in die Kamera.

Dann begeben wir uns auf eine Zeitreise in die späten 60er Jahre als alles für sie begann. Es wirkt, als wäre es nur ein Wimpernschlag vom Heute ins Damals.

Schwupp ist sie das Mädchen aus Hamburg, geboren 1946, aufgewachsen in einem zerstörten grauen Alltag, wie sie mehrfach erwähnt. Zunächst studierte sie Literatur- und Theaterwissenschaften, um sich dann für einen Model-Gelegenheitsjob bei der Brigitte zu bewerben.

Ein unbedarfter Anfang, um jedoch schnell Blut zu lecken. Aber dafür musste sie raus in die Welt. Ein Fotoshooting in Acapulco, Luxushotels und Sonnenstrände, ein Flug mit dem Helikopter zum gerade eröffneten JFK Flughafen New York.

Jeder von uns im Raum konnte dieses schillernde Verführungspotential nachempfinden. Warum studieren, wenn die Welt da draußen fröhlich und bunt sein kann?! Paris, erstes Casting und schon wenige Stunden später saß Bettina im Flieger nach Mailand für eine große Modestrecke.

Manchmal ist die Zeit reif für Ideen, für Veränderung, für Frauen wie sie: jung, frech, unbeschwert, mit der Disziplin und dem Willen, alles für sich aufzugreifen. Und dann wird das Leben plötzlich überraschend einfach: Mitnehmen, was kommt.

Sie erzählt wie selbstverständlich von den Begegnungen mit all jenen, die heute für uns zu den prägenden Mode-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gehören: Pierre Cardin, Yves Saint Laurent, Kenzo, Sonja Rykel und viele andere. Dazu gesellen sich die bedeutenden Fotograf*innen.

Besonders gut gefallen haben mir in ihrem Buch die Aufnahmen von Sarah Moon, die das neue Frauenbild in seiner Zartheit und poetischen Stärke erfasst. Aber es gehören auch Fotografen dazu wie Peter Lindbergh, Patrick Demarchelier oder F.C. Gundlach. Bettina konnte in jede Rolle schlüpfen, wie es scheint.

Kaum mag ich sie in ihrem Redefluss unterbrechen, denn ich spüre, alle möchten ihr noch ewig zuhören. Ich schiebe manchmal eine Frage ein, die in eine nächste Geschichte mündet. Hinter all den Erzählungen steckt eine wichtige Botschaft an die nächsten Generationen: Einfach etwas wagen und daran glauben, dass es gelingt. Die sechziger und siebziger Jahren gaben den Frauen die Chance, sich neu zu erfinden. Dieses Gut dürfen wir nie verlieren!

Neben mir zur Linken sitzt ihr Ehemann Ralph Larouette, mit dem sie seit 1974 in einer offenen Beziehung zusammenlebt. Nach vierzig Jahren haben sie sich entschlossen zu heiraten. Schmunzelnd erzählt er von der Hochzeitsnacht und schickt ihr einen liebevollen stolzen Blick rüber.

Und wie war es mit Leonard Cohen, frage ich. Es war eine Affäre, die in eine enge Freundschaft überging. Ralph war in der Zeit mit einer Liselotte verbandelt, wie er grinselnd erzählt. Trotzdem teilten sie sich ein großes Loft in Hamburg-Winterhude.

Als ich heute Morgen noch eine kleine Weile unter der warmen Bettdecke lag, überlegte ich, was das Außergewöhnliche des Abends war. Bettina Hagen und ihre Gäste! Sie haben gemeinsam diese vibrirende Zeit noch einmal aufleben lassen: die Fotografin Gisela Floto, die Magazin-Macherin Sibylla Jahr, der Moderator Lutz Ackermann, den ich in meiner Kindheit im Radion hörte. (Er las gleich in unserem Childhood Buch.)

Sie alle haben sich diesen kritischen Verstand erhalten und die Neugierde am Leben. Und wir anderen, wir Jüngeren? Wir fühlen uns ein wenig als „Zuspätgeborene“ und genießen es, an diesem Spirit der siebziger Jahre teilzuhaben. Was für ein schöner Auftakt in das neue Jahr.

Bettina Hagen, Streublumen II, Acryl auf Leinwand (105 x 65 cm), € 2.200

Wenige Tage vor seinem Tod schrieb Leonard Cohen noch eine Brief an Bettina: „If I were young and starting a home, your paintings would be all over the walls.“ (25. Oktober 2016). Ihre Bilder bleiben noch für diesen Monat in der Poolstrasse hängen.