Der letzte IT’S A DIENSTAG vor der Sommerpause war eine „Sternstunde“ in kleiner Runde. Schwülwarm waberte es von draußen zu uns in die Poolstrasse 30 in der Hamburger Neustadt. Mehrere hatten abgesagt wegen Kreislaufproblemen. Umso intimer und intensiver das Gespräch, das uns in Bereiche führte, die nicht nur das Verständnis, sondern auch die Vorstellungskraft verlassen. Zu Gast der Philosoph Francisco José Soler Gil (kurz genannt „Paco“), der an der Universität von Sevilla lehrt. Sein Spezialgebiet ist die Philosophie der Kosmologie, die Wissenschaft des Universums.
Kopernikus Bluse, 2019, Yves Saint Laurent Armreif (€ 700)
Sein Buch „Philosophie der Kosmologie. Eine kurze Einleitung“ (2014) schenkte er mir eine Woche zuvor. Seitdem war ich abgetaucht oder eingetaucht in das, was uns Menschen von Anbeginn des Denkens beschäftigt: Wo kommen wir her, und was ist der Ursprung allen Seins? Instinktiv legte ich die Lektüre jedoch während des Gespräches beiseite, genauso wie ich es jetzt wieder tue. Es ist sinnlos zu referieren und zu zitieren, ich bekomme es eh nicht zusammen. Zu groß und zu komplex und gleichzeitig klein, verdichtet und geheimnisvoll wie die seltenen Momente in den Künsten, wo es zu schweben beginnt.
Literatur: Francisco José Soler Gil, Philosophie der Kosmologie
Tastend und vorsichtig nähere ich meinem Gast und seinem Thema. Neben mir sitzt ein wahrer Gelehrter, besonnen, versehen mit dem tiefem Ernst, der die Bücher-Menschen auszeichnet, die sich mit den existentiellen Fragen beschäftigen, in diesem Fall mit den komplexen Wechselspielen zwischen Physik und Philosophie. Was ist real und was ist fiktives Instrument? Was lässt sich beweisen, und wo braucht es die spekulative Interpretation, die fantasievolle Imagination? Wir bewegen uns im Graubereich am Rande der Naturwissenschaften, dort wo Philosophie am philosophischsten ist.
Gibt es ein Schlüsselmoment, von dem ab er wusste, dass er das Universium erforschen will, möchte ich wissen. Er stammt aus einer Familie von Musikern und hätte am liebsten diese Richtung eingeschlagen. Wäre da nicht dieses Erlebnis als Junge, als er von einem Konzert durch die Nacht zurück nach Haus fuhr. In dieser abgelegenen Region Spaniens war der Himmel dunkler als heute allerortens, die Sterne glitzerten hell und die Milchstrasse war deutlich zu erkennen. Für eine Sekunde huscht die Erinnerung über Pacos Gesicht, und alles scheint wieder lebendig, das Staunen, die kindliche Neugierde, das große Ganze von der Entstehung der Welt zu begreifen.
Er studierte zunächst Physik, nur um festzustellen, dass das, was ihn wirklich interessierte mehrheitlich in die Philosophie gehörte. Erst vor knapp einem Jahrhundert integrierte man die physikalische Kosmologie als Unterdisziplin in die Physik. Isaac Newton, Johannes Kepler, Galileo bis zurück zu Aristoteles bezeichneten sich vorrangig als Philosophen.
Bis heute ist es der Physik weder gelungen, eine Weltformel für unsere Existenz zu finden, noch den Beweis zu liefern, um das Universum zu erklären. Mit Einstein haben wir wesentliche Schritte dorthin erhalten, die experimentelle Physik entwickelte sich in den 1990 Jahren enorm voran, Quantenlehre, Teilchen-Physik… Aber großen kreativen Denkern folgten die „Verwalter“ der Forschung. Stephen Hawking, der wie ein Pop-Star der Kosmologie fungierte, in dem er uns die Welt in der Nussschale erklärte, wird von meinem Gast knapp und sachlich zerlegt. Es bedarf eines größeren Bogens, eines tieferen Wissens, um die kosmische Ordnung zu erklären. Selbst das Modell vom Urknall, dem BigBang, der vor 13,7 Millionen Jahren das Universum geschaffen haben soll, besitzt nur einen hohen Grad von Realität. Und davor? Ein Nichts? Die theoretische Physik nickt, die Philosophie der Kosmologie schüttelt bedenklich den Kopf. Das Ganze ist noch nicht zu Ende gedacht.
Werden wir die Welt erklären, wenn wir wissen wie sich die vier Grundkräfte von Elektromagnetismus, schwacher und starker Kernkraft sowie der Gravitation miteinander verbinden, will ich neunmalklug wissen? Paco zuckt mit den Achsel. Und dann? Die Philosophie wird weiter fragen, ist es das einzige Modell, gibt es weitere Optionen?
Verstohlen beobachte ich meinen Gast während er von den Naturgesetzen erzählt, wie sie sich gegenseitig bedingen, von der Schönheit der schlichten Formel, der Idee, die durchaus ins Göttliche führen könnte. Und dieser Mann, der so oft seinen Mund nachdenklich verschlossen zusammenpresst, zeigt plötzlich eine Spur von Glück und Erfüllung in seinem Gesicht.
Ob es ihm nicht auch Furcht bereiten würde, sich in diesen riesigen Dimensionen zu bewegen, drängt es mich zu fragen. Lässt die Beschäftigung mit dieser Materie einen nicht einsam werden? – Er weicht aus. Was bedeutet schon groß und klein, antwortet er. Viel schwieriger sei es doch, unser menschliches Hirn zu beschreiben als den Kosmos. Er zitiert den französischen Philosophen, Physiker und Mathematiker Pascale (1623 – 1662), dass wir bewusste Wesen sind und denken können.
Aber darüber sprechen wir vielleicht ein anderes Mal in der Fortsetzung, eventuell in diesem Sommer auf der Insel mit ihm und meinen beiden Theologinnen als weiteren Gästen, die die Parameter sicherlich ein wenig verschieben würden.
Mit der Künstlerin Nele Budelmann vor ihrem Kimono-Objekt.
Was von diesem Abend bleibt, ist die Begeisterung, sich solche intellektuellen und auch emotionalen Ausflüge zu gönnen, mit denen wir einen mikroskopischen Zipfel vom Wissen der Welt ergreifen. Danke Paco für dieses Gespräch und für das Lächeln des Gelehrten, auch das gehört zu Raum und Zeit in ihrer Relativität.
IT’S A DIENSTAG
macht in Hamburg Sommerpause bis zum September mit neuen illustren Talk-Gästen. Auf der Insel geht es derweil weiter, und ich lasse Euch in kürze meine Pläne und Termine wissen.
Einstecktuch mit jeder Bestellung gratis dazu.
Wer in diesen Tagen online bestellt, erhält ab einem Warenwert von € 300 als limitiertes Geschenk das Seidenhalstuch mit dem Kopernikus Motiv, das der Philosoph an diesem Abend trägt.
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GROSSES KINDERMOND TUCH, MULTI
€249,00 inkl. Mwst. -
TRAPEZ ROCK MIT TASCHE, WEISS
€498,00 inkl. Mwst.