Frederik Schwarz neben mir hält ein Bild hoch, es ist unscharf, darauf ein Mann, kurze dunkle Haare, gutaussehend, vielleicht Ende vierzig, Anfang fünfzig (heute ist er achtzig), eine Lupe vor dem Auge, begutachtet einen blauen Diamanten in seiner Fassung. Es ist eines der wenigen Fotos von Joel Arthur Rosenthal oder besser bekannt unter JAR.
Frederik, sen. Specialist Jewellery Christie’s, ist mit „Joel“, wie er ihn vertraut nennt, gut befreundet, er gehört zu den wenigen, die Zugang zu dem kleinen Reich der exzeptionellen Schmuck-Schöpfungen erhalten.
JAR, so meinen viele, ist der wohl bedeutendste zeitgenössische Schmuckdesigner der Welt, der Fabergé von heute. Ich merke, wie unsere Gäste ein wenig den Atem anhalten, um mit Spannung zu hören, was Frederik gleich erzählen wird, er, der Kenner, der bis ins kleinste Detail um die Geschichte und die Geschichten der Haute Joallerie weiß.
Frederik steht gern, also stehen wir beide, während die anderen um uns herum Platz genommen haben. Ich liebe es, eine Unterhaltung wie diese ungewöhnlich zu beginnen, nicht gleich mit dem Hauptthema einzusteigen, sondern vielmehr um meinen Talk-Gast herum zu kreisen.
„Stimmt es, dass Du schon als Kind die Abbildungen von Schmuckstücken aus den Hochglanz Magazinen Deiner Mutter ausgeschnitten hast?“ – „Ja“, antworte Frederik mit einem Schmunzeln, „und sie wunderte sich, warum mich nicht das Gesicht der Königin oder Prinzessin interessierte, sondern nur ihr Diadem.“
Manche Wege sind eben vorbestimmt, und so räumte ihm die kunsthistorische Fakultät der Humboldt Universität Berlin einen extra Tisch in der Bibliothek ein, an dem er zehn Jahre lang Schmuckgeschichte studierte: die berühmtesten Diamanten, ihre Herkunft, ihr Schicksal, die unterschiedlichsten Facetten und Schliffe, die Adelshäuser und ihre wechselvollen Geschicke.
Ein schier endloses Wissenterrain, in dem sich Europa und die Welt miteinander verweben. Anfang der 80er Jahre entdeckte ihn Christie’s, und fortan war er dort der Connaisseur und Berater für Sammler und ihre Sammlungen. Wo Frederik steht, geht es um Edelsteine und Schmuck (oder das Kochen und Genießen).
Soeben kehrte er von den Auktionen in Genf zurück. Es war ein Erfolg, trotz oder gerade wegen der bedrückten geopolitischen Lage. Die Investoren suchen nach sicheren Anlagen, nach den exzeptionellen Edelsteinen und Pretiosen mit historischer Provenienz.
Allein bei diesem Thema hätten wir uns einen Abend lang aufhalten können, aber es drängt uns zu JAR. Wer ist dieser mysteriöse geniale Kreateur, der nie ein Interview gab, die Journalisten vergraulte, und den kaum jemand zu Gesicht bekommt?
Als er sich selbständig machte, war Hélène de Rothschild seine große Förderin. Sie finanzierte ihm den Ankauf der Steine und ein Jahr unabhängiger Arbeit an den ersten achtzig Stücken. Die Eröffnung seines Salons im Jahr 1977 auf dem Place Vendôme war wie ein Paukenschlag für die Pariser Society.
Madame de Rothschild wurde seine beste Kundin und jeder wollte natürlich auf ihren zahlreichen Events wissen: „Hélène, wo hast Du diese Brosche her … ?“
Wir in unserer Runde kommen nicht aus dem Staunen, das Zebra mit der Trense und den Straußenfedern aus Diamanten, das Collier aus Holz mit Pilzen und Nüssen, die Tulpe. JAR experimentiert mit Materialien, lässt Fassungen benahe gänzlich verschwinden. Blumen und Pflanzen werden zu einem glitzernden Nature Morte, getragen als übergroße Broschen.
Seine Phantasie scheint grenzenlos. Schmuckstücke sind nunmehr Kunstwerke, und seine Anhängerschaft wächst und wächst, wartet geduldig, bis sie eines dieser atemberaubenden Objekte erwerben darf. Aber JAR verkauft nur an jene, die er mag, und machte aus sich über die Jahrzehnte ein Phantom.
Seine Inspiration findet er in den Museen, in den ehemaligen Wunderkammern der Adligen wie dem Grünen Gewölbe in Dresden, in der Natur, sogar ab und an auch in Auktionskatalogen von damals. (Letzteres ein stilles Wissen, das Frederik und JAR miteinander teilen.)
Außergewöhnlich sind auch seine Inszenierungen, wie beispielsweise in der Londoner Ausstellung: Der Raum verdunkelt, nachtschwarz, die Besucher müssen sich am Eingang eine Taschenlampe greifen, um nach den Objekten zu suchen. Aufregend und einzigartig muss es gewesen sein, so stelle ich es mir jedenfalls vor, während ich Frederik lausche und mit mir die anderen Gäste in der Poolstrasse 30.
Hundert Schmetterlingsbroschen scheinen aufzufliegen, wenn sie der Lichtkegel erfasst. JAR treibt damit auf die Spitze, was Schmuck immer war: ein Erlebnis der Emotionen.
Wie landet so etwas auf Auktionen, wenn es nur so wenig gibt und dann auch noch handverlesen verkauft? Christiane Gräfin zu Rantzau, Chairman Christie’s Deutschland, und Frederik Schwarz schauen sich an, bevor sie die Geschichte der Schauspielerin Ellen Barkin erzählen. Ihr Ehe-Mann oder besser „beinahe Ehemann“ (er trennte sich nach über vier Jahren genau einen Tag bevor die vertragliche Eheschließlung in Kraft getreten wäre), hatte ihr die Stücke geschenkt. Verständlich, dass nun daran Wut und Enttäuschung klebten. Ein Glücksfall für das Auktionshaus, das erstmal Rekordsummen für JAR Pretiosen erzielte.
Mitte: Frederik Schwarz und Christiane Gräfin zu Rantzau
Wie nebenbei erfahren wir von Altschliff (34 Facetten) im Gegensatz zu dem modernen Diamantschliff (58 Facetten), dass die schönsten und reinsten Diamanten aus Indien stammen, über den oftmals milchigen Charakter der Steine aus den südafrikanischen Mienen, warum vor Queen Mary kein Schmuck sicher war und und und.
So entsteht ein unerschöpfliches Füllhorn von Juwelen-Geschichten und Anekdoten, versehen mit dem detektivischen Spürsinn für die Historie und die Herkunft der Objekte, das sich in unseren Gesprächen fortsetzt.
Danke Frederik für diesen zauberhaften Abend. Nimm mich mit zu JAR, so mein heimlicher Wunsch, ich weiß, wie man still und unsichtbar staunen kann.
Schreibe einen Kommentar