Immer wieder beschäftigt mich der „Sturm im Kopf“, die Gleichzeitigkeit der Dinge. Selten denke ich nur an das eine, meistens ist es eine Überlagerung von Themen, von Eindrücken, von Geschehnissen in der Vergangenheit, im Jetzt, im Morgen. So kehrte ich gestern Abend zurück von der „schönen Pizza“, wie mein neuer WG-Mitbewohner mir noch als Stichwort hinterher rief, und ging durch das Tor in den Hinterhof mit den Überresten der ersten Reform-Synagoge im Nachtlicht.

„Sieht aus, als sei der Tempel jetzt in Jerusalem. Als sei der dorthin gebeamt“, schrieb das Cousinchen auf meine SMS. Ein Nachtgruß. Heute morgen schaue ich aus dem Fenster, viel kann man nicht sehen, der Blumenstrauß von der Einweihung im vergangenen Oktober steht noch poetisch getrocknet dort, ein Buch, der Rauch vom Schornstein der Autowerkstatt.

Es könnte ein schöner Tag werden, in zwei Stunden kommen die Möbelpacker und laden die eingelagerten Teile aus der MILCHSTRASSE 11 aus. Ein paar letzte Minuten der Ruhe mit abschweifenden Gedanken, 11. April 1945.

Gestern jährte sich die Befreiung des KZ Buchenwald. Das Bild der amerikanischen Fotografin Margaret Bourke-White (1904 – 1971) wurde vielleicht genau an jenem Tag aufgenommen: The Living Dead. Wie habe ich diese Ausnahmefrau immer bewundert. Als ich in den USA studierte, schrieb ich eine Hausarbeit über sie, ihre Fotos haben sich mir ins Gedächtnis gebrannt. Kein Wunder, dass diese nun gerade jetzt vor meinem inneren Auge auftauchen.

Und wieder verknüpfen sich die Momente, die Orte, die Zeiten. Nichts darf man losgelöst voneinander betrachten. Meine Tage hier im Tempel sind gezählt, noch eine gute Woche, dann übernimmt wieder Thomas Holthoff für die letzten Monate mit ein paar Ausstellungen. Aber ähnlich wie ich in den vergangenen Wochen, will er noch einmal die Energie dieser spirituellen Räume spüren, bevor die Stadt übernimmt, um daraus eine Großbaustelle zu machen. Hoffentlich mit einer Planung und einer Sensibilität, die diesem Zauber gerecht wird.