Sie sind berühmt, die Weißen Nächte, kurz vor und nach der Mittsommerwende um den 21. Juni herum. Hier oben im Norden wird es kaum dunkel. Schummrig ist das Licht noch bis spät in den Abend, mit diesem schlafwandlerischen Zauber. Es ist genau die richtige Atmosphäre für den Auftritt der Childhood Leuchten, entstanden im Atelier von Livia Reimers, vis-à-vis.

Schon lange schwirrt uns das Projekt im Kopf herum, eine Dreier-Kooperation: die Vasen von Richard Uhlemeyer und Paul Dresler aus der Sammlung meines Mannes, der Seidenstoff aus aktuellen Roma e Toska Edition und die daraus gefertigten Lampenschirme von Livia Reimers.

Der Gürtler, ein Handwerk im Aussterben begriffen, hat die Fassung für die Vasen gefertigt, das Kabel lassen wir oben herausschauen, damit die Keramik nicht beschädigt wird.

Ausgewählt habe ich die Vasen von Richard Uhlemeyer aus den 1930er Jahren, wunderschön die Reduktionsglasur. Sammlerstücke in ihrem Spiel von braun-rot und grün-türkis.

Gemeinsam suchen wir die Formen der Schirme aus, die mit den Vasen sowie dem Rapport des Motivs korrespondieren müssen, der Baum, die Pilze und wenn noch Platz ist, die kleinen Blümchen am Waldesgrund.

Nun müssen wir uns entscheiden, ob der Schirm ein warmes, kupfernes Licht geben soll oder ein kühleres Grün. Wir wählen für die beiden Leuchten die erste Variante.

Anschließend wird der Karton von der Innenseite mit Goldfarbe bestrichen, die das künstliche Licht weich zurückstrahlt. Es ist schon faszinierend, wieviel Handwerk in einem Lampenschirm dieser Qualität steckt.

Am Ende werden Karton und Stoff miteinander verklebt und auf den Metallrahmen gespannt. Jedes Details verlangt eine hohe Sorgfalt und Präzision, bis nach vielen Stunden die Leuchte fertig ist.

Immer wieder schaue ich von meinem Schreibtisch über die Straße, sehe Livia von links nach rechts, von vorne nach hinten gehen. Am liebsten würde ich schnell rüberhuschen: Was machen unsere Lampen? Bis es dann soweit ist am späten Nachmittag. Vis-à-vis, nur ein paar Schritte von der Poolstrasse 14 in die Poolstrasse 30.

Wie schön. Wie aufregend. Die beiden Objekte besitzen die Aura von Childhood, von Kindheitsträumen, von Märchen, die die Mütter und Großmütter vorlasen, von dem Flüstern der Feen und Monster im Dunkeln.

Sanft schimmert das Licht und belebt den Ort, als würden die Dinge miteinander reden, und tun sie vielleicht auch, wie ich mir in meiner kindlichen Fantasie vorstelle. Erst scheu, wie die Neuen in der Schulklasse, und dann mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre sie immer schon da gewesen.

Der fahle Mond, die Monster, die so lieb und beschützend wirken, die vorwitzigen Pilze, die sich an die dunklen Wurzeln schmiegen. Ich sitze auf dem Sofa in der Poolstrasse 30. Es ist spät geworden, ich hatte noch eine Menge am Schreibtisch zu erledigen.

Ich beobachte meine neuen Schätze und erzähle ihre Geschichten weiter, denke an das kleine kränkliche Mädchen am Fenster, das auf den See im Wald blickt … oder den Begründer der Arts and Crafts Bewegung Henry van de Velde, der umgekehrt die Outfits passend zu der Einrichtung kreiierte.

Ich nehme die kleinere Leuchte mit nach drüben in den Tempel von 1844, der ersten Reformsynagoge, die nun als Halbruine vor sich hinschlummert und mir mein nächtliches Refugium schafft. Der abgeplatzte Putz an den Wänden hüllt sich in ein Midsommer-Lila.

Childhood Lampe, klein, mit Vase Richard Uhlemeyer (€ 2.100)

Dunkel Bordeaux die schweren Vorhänge. Romantisch ist es, keineswegs furchterregend. Genüsslich gebe ich mich den letzten Wachminuten hin bis mir die Augen zufallen und ich in meine anderen Träume sinke mit verwunschenen Schlössern hoch über der Erde.

Childhood Lampe, groß, mit Vase Uhlemeyer, Sammler-Unikat (€2.600)