Nun habe ich es doch zuerst gelesen, dem Buch von Ece Temelkuran „Wenn Dein Land nicht Dein Land ist“ vorgezogen: Der Dalai Lama und „Der Weg zu Glück“. (Blog, 4.11.2022) Gestern Nacht lag ich im Tempel, der ersten Reformsynagoge der Welt, 1844 im Hinterhof der Poolstrasse 12 errichtet. Es sollte ein Zeichen sein für die Versöhnung der Religionen. Der Onkel von Heinrich Heine gab das Geld für den Bau, Mendelsohn schrieb die Eröffnungssonate. 1944 zerstörte eine Fliegerbombe das Mittelschiff, seitdem stehen als Ruine nur noch die Apsis und der vordere Teil mit meinem Bett hoch oben. Ich fühle mich behütet zwischen den kuscheligen Decken und mit diesem außergewöhnlichen kleinen Buch in der Hand.

Bewusst habe ich mit der Schilderung der Szenerie angefangen. Ich könnte auch von der Ecke mit dem Sessel im Kapitänshaus erzählen oder von dem anderen Bett unter dem Reetdach, an dem der Sturm der letzten Tage rüttelte. Immer hatte ich die Lektüre bei mir und las, machte Markierungen und Notizen, dass ich etwas (das meiste) noch nicht verstanden habe.

Wie schreibe ich über ein Buch, das größer ist als meine Fähigkeit zu denken? Und in dem vielleicht oder gewiss die Lösung steckt, um den Dramen unserer Zeit, der Missgunst, dem Streit, den Kriegen und dem Klimawandel zu begegnen.

Wir alle streben nach Glück und möchten Leid vermeiden.“

Dieser Satz steht gleich an vordersten Stelle. Wie ist das möglich in einer Welt, die auseinander bricht, in denen Diktatoren allerortens Hass prädigen, in denen das Ich&Myself wichtiger ist als das Gemeinwohl? Der Dalai Lama startet mit einer fundamentalen Irritation. Dann beginnen seine „Übungen“, wie er sie nennt, um uns umzudrehen, die Perspektive zu ändern, tiefer zu schauen, wie alles miteinander verbunden ist und nichts aus sich allein existiert.

Solche Sätze kann man lesen und verstehen. Sie sind kurz und schlicht. Die Gleichung scheint einsichtig: „Solange Ärger und Zorn unseren Charakter bestimmen, gibt es keine Möglichkeit für andauerndes Glück.“ Aber es mit jeder Faser seiner Selbst zu begreifen und zu leben ist ungeheuerlich schwer. Diese Weisheit zu erlangen kann „Weltzeitalter“ dauern, wir brauchen Geduld mit uns, obwohl wir keine Zeit zu verlieren haben.

Der Bogen lässt sich weit hinein in die Verästelungen westlicher Philosophie spannen, Decartes, Spinoza …  bis hin zu dem soeben verliehen Nobelpreis für Physik und die Quantentheorie. Ganz tief liege ich versunken in meinem Bett, wie in einer Kuhle der Geborgenheit. „Form ist Leerheit; Leerheit ist Form. Form ist nichts anderes als Leerheit; Leerheit ist nichts anderes als Form.“

Ich beginne zu grübeln und verliere mich … die Wände, die Gardine, Muster …, langsam löst sich der Raum auf, wird zu Licht und Dunkel … Dann blättere ich wieder zurück, überfliege vorherige Passagen und bleibe auf einer Seite hängen: „Als Essenz: Denken Sie immer wieder: ‚Möge ich dazu fähig werden, allen Lebenwesen zu helfen.'“

My first Meerglanz Fisch zwischen den Muscheln am Strand.

Ich habe tief und fest geschlafen, die fehlenden Stunden nachgeholt. Nun spult ein Dienstag mit Friseur und Terminen, ein paar kreativen neuen Entwürfen … Heute Abend erzählt Katrin Ollech über sich und Meerglanz. Das Buch wird mich begleiten, im Rucksack, in der Handtasche, unter den Arm geklemmt. Es wird sich jedes Mal neu lesen, Satz für Satz.

Dalai Lama, Der Weg zum Glück. Herausgegeben von Jeffrey Hopkins, Herder Verlag.