Es ist Sonntag früh, sehr früh, so wie eigentlich immer bei mir als Wenigschlaferin, egal, ob Montag, Dienstag, Mittwoch … oder eben Wochenende. Die Sonne geht über dem Watt auf und ich sitze am Schreibtisch. Null Hirnströmung, mir fällt nichts ein, dabei liegen die Hände zehnfingerbereit über den Tasten.

Mein Arbeitsgedächtnis ist leer, so würde die Hirnforschung es betiteln. Das Vakuum füllt der Ohrwurm. Die Rede ist nicht von dem ekligen kleinen Tier, das in die Gehörwindungen kriecht, sondern von einem Lied, einem Hit, der einprägsam und eingängig im Ohr hängen bleibt. Mir schwingt noch die wunderbare Nina Simone mit ihrem „Mr. Bojangles“ von 1971 melancholisch-verträumt nach. Es tönte gestern oben aus dem Fenster, als wir zu Abend aßen.

Die Melodie ließe sich einfach aus meinem Ohr vertreiben, wenn ich endlich mit dem Schreiben beginnen würde, wenn mein Arbeitsgedächtnis besetzt wird mit neuen Anforderungen. Gestützt auf beiden Händen schaue ich aber aus dem Fenster und lass mich ins Nichts fallen. Wieder eine Leere, die gefüllt werden will. Es regnet.

Meine Stimmung ist kipplig, neigt sie sich zur „summertime sadness“ oder wird daraus ein beschwingtes Lächeln in den Tag? Ein paar Zeilen habe ich geschrieben, nichts von Bedeutung, kann ich auch gleich wieder löschen und mich lieber der Poesie der tropfnassen Blätter hingeben. Besser ist’s. Das Arbeitsgedächtnis ist überfordert, auch eine Möglichkeit für den Ohrwurm sich erfolgreich einzunisten. Auf zum Bäcker, wo die Schlange nicht lang ist, weil sich alle im Bett noch einmal umdrehen …

Mittlerweile sind alle wach, der Hund drängelt zum Meer, die Sonne hat ein Einsehen und schaut wieder raus. Auf zum Strand, an meiner Seite Toska. Ein Ohrwurm löst den anderen ab, verdrängt von der Motorik des schnellen Gehens und des Tauchens zwischen den Wellen. Zeit für die italienischen Hits: Mina „Se Telefonando“ von 1966. Wer will, hört gleich weiter. Ich sag nur „ChaChaCha!“ …

Der Tag ist halb durch, mein Arbeitsgedächtnis ist voll beansprucht und hat entsprechend alle Ohrwürmer wieder eliminiert. Aber es kommt ja noch der Abend, mit einem letzten Schaumbad bevor die Sonne untergeht und der eisige Wind über den Strand fegt.

Und wenn ich dann mit dem Salzwasser im Haar wieder zurück über die Dünen laufe und mein Arbeitsgedächtnis wieder eine Pause macht, dann packt mich vielleicht trotz allem Überschwang dieses unbestimmte Gefühl, dass auch dieser Sommer eine Endlichkeit besitzt.