Elfeinhalb Flug-Stunden Paris – Saint Denis, La Réunion. Ein Film, Versuche im Sitzen zu Schlafen, Gedanken an alles Mögliche, Vorfreude auf das, was vor mir liegt. Wie kommt man an? Physisch ist es halbwegs einfach. Kurz vor der Landung entledige ich mich meiner Strumpfhose, stopfe das Wollhemd in den Rucksack, tausche Brille gegen Sonnenbrille, feste Schuhe gegen FlipFlops. Willkommen in den Tropen: 32°C, 83% Luftfeuchtigkeit.

Roma holt mich ab, wir gehören zu jenen, die vor vier Monaten einen Satz begonnen haben, um ihn nun fortzusetzen. Alles andere dauert ein paar Tage: Das Gleichgewicht finden, den Kopf ausschalten, den permenanten Blick auf das Handy einstellen, den ganzen Kleinkram ausblenden. Ganz einfach: ankommen, dort wo man ist, 9.370 Kilometer von zu Hause entfernt, in einer anderen Zeit.(+3 Stunden MEZ).

Wir machen einen Abstecher zu einem der unzähligen Wasserfälle der Insel. Es ist unglaublich heiß und schwül, wir beide brauchen eine Erfrischung, ich ganz besonders. Der Weg geht durch Pfützen, über Steine und Wurzeln. Mein Schuhwerk ist geeignet für die schicke Promenade, hier vollkommen daneben: Prada mit pinken Blumen am Riemchen und rutschigen Ledersohlen.

Unsicher mein Gang. Es wird bestimmt zwei-drei Tage kosten, bis mein Instinkt die Schritte wählt und nicht mein Intellekt. Ich hangele mich an den Ästen entlang, suche Halt und gleichzeitig nehme ich auf, was sich mir rundherum alles bietet. Die kleinen Pilze, die aussehen wie Muscheln. Alles ist mit allem vernetzt. Ich muss an Alexander von Humboldt denken.

Als wir nach einer knappen halben Stunde unten ankommen, sind meine Beine schon verschrammt, der Kopf gestoßen, das delikate Schuhwerk leicht ramponiert. Roma und ich haben uns aktualisiert, was alles so war bei ihr, bei mir. Dazwischen schaute ich mehrmals aufs Handy, beantwortete eine Frage zum Blazer, schrieb Carmen. Ich bin noch nicht ganz da, meine hier.

Köstlich das Bad, aber auf keinen Fall untertauchen, die Haare sitzen noch so schön gefönt. Wieder glitsche ich aus, falle rücklings zwischen die Steine im seichten Wasser. Der nächste Ratscher am Rücken. So muss es wohl sein, wenn man die Großstädterin nicht ablegt.

Welcome on the Island. Bluse und Handy haben überlebt. Wir lachen, war es letztes Jahr nicht genauso. Wird Zeit, dass ich mich wieder einlasse auf das Spektakel „Natur“, versuche eins zu werden mit den Farben, den Geräuschen und den Gerüchen … Wir fahren Richtung Saint Leu, wo Roma und Nico wohnen, wo der kräftige Wind den Ozean an die Küste presst.

Aus der Fönwelle ist mittlerweile eine Dauerwelle geworden, die Locken kringeln sich ins Gesicht, ich wische sie zurück, versuche zwischen der Gischt zu sehen, um das nächste Foto zu machen von diesen gewaltigen Wassermassen. Ist das herrlich, formidable, merveilleuse … Haushohe Türme aus türkis, weiß und grau.

Anschließend wartet Nicos Curry und das Bett für einen kurzen Schlaf, in dem ich mich verliere, nicht mehr weiß, wo ich bin … im Halbschlaf taste ich die Umgebung ab, die Fenster ohne Glasscheiben, die Basthüte an der Wand, das Moskitonetz … das dumpfe Grollen des Meeres.

Das Dach der kleinen Veranda mit dem großen Tisch ist repariert, so dass keine Regentropfen mehr hindurchgekommen. Korallen und Muscheln hängen von der Decke und eine große alte Weltkarte ist dort angebracht, aufgeklappt die Kontinente. Ihr anderen seid dort, ich bin hier, wo Columbus hätte längsfahren sollen, um den Weg nach Indien zu suchen, statt westwärts aufzubrechen. Ich muss schmunzeln, so ist das mit den Plänen.

Mein Blazer samt Muschel-Schal baumelt jetzt an der Wand der kleiner Holz- und Wellblech-Hütte. Die Tür steht offen, dahinter das feuchte Grün der Farne und Palmen. Ein Plakat „Casablanca“. Mein Koffer und ich scheinen angekommen. Morgen geht es weiter mit dem Reisetagebuch.