… and you, and you! Stellt Euch vor, Ihr sitzt an einem Strand, der Wind weht warm und kräftig, duftet nach Salzwasser und Blüten, das Meer ist blau-türkis, fließt rund um den Globus. Ihr sitzt also da, der Strohhut schützt Euch vor der heißen Sonne. Ihr seid zu träge, um schwimmen zu gehen, Ihr hockt einfach da und denkt … an nichts, an Menschen, an Dinge, an Begebenheiten. Ist das nicht schön! So ging es mir gestern: Tag 7 auf der Réunion ohne Besonderheiten und doch ganz besonders.

Die Beine schmerzen ein wenig von der extremen Wanderung den Tag zuvor, und genauso die Oberarme. Ich muss schmunzeln, war schon schräg und extrem: Help, Nico!

Ich tastet das Meer ab auf der Suche nach seinem gelben Schnorchel, hatte ihn gebeten, mir ein paar Muscheln zu sammeln. Roma wiegt neben mir in der Hängematte, die sie zwischen zwei Palmen aufgespannt hat.

Meinen kleine Schatz knote ich in das Ruwenzori-Tüchlein … wartet ab, nicht ohne Grund heißt die neue Kollektion: Muscheln fühlen. Ich beginne Briefe zu schreiben, erst in Gedanken, probiere Formulierungen, teste Wörter aus, versuche zu präzisieren, was genau ich sagen will oder was den oder die andere am besten umschreibt … von welchen Dingen ich erzählen will.

Und so sitze ich nun schon seit gut einer Stunde an meinem geliebten Platz mit dem Blick auf das Meer, rekapituliere das Gestern. Es regnet und donnert, ist noch dunkel, 3:30 Uhr bei Euch, drei Stunden später bei mir, in einer anderen Zeit, wie es Roma mir in ihrem ersten Brief von der Insel schrieb.

Thinking of you … Ich könnte erzählen, was Roma gestern alles gekocht hat (ein anderes Mal davon), oder dass nun endlich Olympe de Gouges und Simone de Bouvoir eingetroffen sind, die beiden Hühner, die für die morgendlichen Eier sorgen sollen (ich berichtete).

Olympe de Gouges (li.), Simone de Beauvoir (re.), zwei stolze Biohühner

Die Hühner-Damen machen ihren Namen alle Ehre, scheinen mit der ersten Minute in lebhaften Gesprächen zu sein. Sicherlich geht es um Frauenthemen, Gender Equality, die neue Umgebung, was sie so von den Männer halten … Wir hocken eine Weile davor und vergessen den Regen.

Aber ich schweife ab, zurück zu den Briefen an Euch, die sich mit einer nächsten Bestellung verknüpfen könnten. Eine Bluse mit Muscheln, ein Tuch, ein Blazer und ein Brief mit meinen Zeilen aus der Réunion …

Und so beginne ich zu schreiben, umkringele die Muscheln und zwänge mich mit meinem Bleistift und den Worten zwischen die kleinen Pretiosen aus dem Meer hindurch.

Jeder Brief wird wie ein Bild. „Wer schreibt, der zeichnet“, so sagen die Künstler. Am Ende gibt es ein Foto und ein Blatt Papier ohne Muscheln, nur mit ihren Konturen, das ich falte, in einen Umschlag stecke und mit einer Briefmarke beklebe, auf dem die großen Abenteurer*innen abgebildet sind.

Das Briefeschreiben gehört zum Reisen. Ich denke an Euch, an Bigi, an Katrin, an Alex, an Christiane, an Juttha, an Tuki, an Angela, an Astrid, an alle daheim … Es ist hell geworden, die Kerzen sind ausgepustet. Ich höre im Haus Roma und Nico aufwachen.

Nachher geht es zum Piton de Neige, wenn hoffentlich der Regen aufhört, hoch auf 3.070 m in zwei Tagen. Die Muscheln und das Heftchen mit den Linien für die Gedankenzeilen werden mich begleiten.