Hinter dem heutigen Türchen im Adventskalender liegt etwas, das nichts kostet, das Kinder können, ohne es zu lernen, für das man die Augen öffnen muss und ein kleines Stückchen auch das Herz. Vielmehr ist es nicht, und doch ist es eines der Wunder unseres Lebens: das Staunen. Wer es verlernt, macht seine Welt öde und grau. Für all die anderen ist dieses Kästchen am 17. Dezember prall gefüllt.

Worüber wir staunen, das mag unterschiedlich sein, es können die großen gewaltigen Dinge sein, die Errungenschaften der Menschheit, außergewöhnliche Fertigkeiten, so etwas in Richtung der sieben Weltwunder. Aber ich verrate Euch eines, das Staunen hat etwas mit dem „Kosmos in der Nussschale“ zu tun, der Entdeckung der Faszination im Kleinen und im Alltäglichen. Hier schult sich das Auge, wärmt sich die Seele.

Nun ist die Insel Sylt für die meisten nicht gerade etwas Alltägliches. Sie ist Reiseziel, Sehnsuchtsort, verbunden mit Luxus, Wünschen und Erwartungen. Die meisten, die kommen, haben das Staunen vergessen. Sie sind gehetzt, verhaftet in ihrem So-Sein, Soll-Sein, Muss-Sein. Alles tödlich für das Staunen.

Sie gehen mit ihren Hunden spazieren und frieren, sie gehen nebeneinander und sind doch allein, sie telefonieren mit ihren Headphones über juristische Belange oder letzte Geldtransaktionen. Grimmig und leer schauen sie meist durch mich durch, wenn ich sie mit dem obligatorischen „Moin“ begrüße. Das ist auch Sylt, dabei fällt gerade hier und jetzt das Staunen so leicht.

In Fell-Weste, Mantel und Schal dick einhüllt gehe ich am Strand entlang oder über die vereisten Wege der Heide runter zum Watt. Unter meinen Füßen knirscht der Schnee. Allein das Geräusch weckt in mir Erinnerungen an früher, als ich klein war, das Knacken auf dem dünnen Eis der Pfützen. Und schon ist es wieder da, dieses tiefe wohlige Gefühl von Staunen, das mich eins werden lässt mit all dem um mich herum.

Die Szenerie erinnert mich an Monet und seinen Heuhaufen im Winterlicht. Ich bin mir sicher, es war das Staunen, das den Pinsel des französischen Künstlers am Ende des 19. Jahrhunderts führte. Es hat sich viel geändert seitdem, unsere Welt ist eine andere geworden, aber das Staunen als Moment ist gleich geblieben, wir müssen es nur wiederentdecken.

Erstes Packeis hat sich gebildet, über das das letzte Licht des Tages türkis-violett schimmert, bevor der Mond es silbrig ablöst. Es ist ein zartes Farbspektrum, das meine Sinne liebkost, mich inspiriert, an vergangene und zukünftige Kollektionen denken lässt. Und wieder erfüllt mich ein Staunen.

Ich bleibe stehen, die Hände tief in den Taschen mit den drei Muscheln, die ich am Morgen gesammelt hatte. Die Hunde sind gerade noch als dunkle Silhouetten auszumachen. Mein Staunen führt mich zum stillen Glücklichsein.