Einige werden sich erinnern: Das Geburtstags-Alter-Ego, eine Idee, die ich von dem japanischen Schriftsteller Huraki Murakami geklaut habe. Er mochte seinen Ehrentag nie und suchte sich eine Persönlichkeit aus, die am gleichen Datum wie er geboren ist, um für einen Tag das Leben des anderen zu leben.

So machte ich es mit Jean de La Fontaine (8. Juli 1621*), dem Fabelerzähler Frankreichs, und John Pemberton (8. Juli 1831*), dem Erfinder von Coco-Cola. Nun ist es wieder so weit und eine neue Figur der Geschichte ist dran.

Abb: Aus dem Geburtstags-Alter Ego Jean de La Fontaine wurde eine ganze Kollektion, Herbst-Winter 2018-19.

Artemisa Gentileschi wurde am 8. Juli 1593 in Rom geboren. Sie war die bedeutendste Künstlerin des Barocks, vielleicht sogar die erste Malerin überhaupt, die zu solch einer Berühmtheit gelangte. Schon ein paarmal stand sie auf meiner Liste für ein Geburtstags-Alter-Ego, aber immer wieder habe ich es verworfen, zu sehr schwang mir das #MeToo dabei mit.

Sie wurde als einzige Tochter die Schülerin im Atelier des Vaters. Ein Malerkollege vergewaltigte sie als Teenager und verweigerte sich, sie zu heiraten. In einem für sie entblößenden Prozess wurde seine Schuld anerkannt, er kam ins Gefängnis und sie musste sich ihr Dasein wieder zusammenstückeln, noch nicht einmal zwanzig Jahre alt. Keine guter Auftakt für eine Geburtstagsgeschichte, aber danach wird es besser, ja sogar richtig gut, und deswegen habe ich sie heute endlich gewählt. Wie dreht man das Leben um, dass es zu dem eigenen wird, selbstbestimmt und mit einem Maximum an Intensität?

Gemäß meiner Routine sitze ich ähnlich früh wie immer an meinem Schreibtisch mit dem Blick in den duftenden Sylter Garten, das Fenster ist offen, die Sonne scheint, Vögel zwitschern, barfuß laufe ich über den nassen Rasen … die übliche Morgen-Romantik, das Gesicht zerknautscht und müde, auch das gehört dazu.

Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit trage ich nicht die alte kurze Jeans, den zerlöcherten Pullover und den dunklen Cashmere Schal, sondern ich habe Artemisia zu Ehren das Brokatkleid von Prada angezogen in gold-blau, das viel zu lange vernachlässigt an der Kleiderstange hing. Bettdecke um die Hüften geschlungen, es kann losgehen.

Abb. Artemisia Gentileschi, Selbstportrait als Lautenspielerin, 1615 –18

Zurück zu der Künstlerin, auf die die großen Mäzene und Sammler ihrer Zeit schon bald aufmerksam werden sollten. Verheiratet und mit einem Kind zog sie nach Florenz und fand schnell Anschluss an einen Kreis von Literaten und Denkern, zu denen auch Galileo Galilei zählte. Sie fertigte zahlreiche Werke für die Medicis an. Sie startete eine unfassbare Karriere für ihre Epoche, für eine Frau, die nicht aus dem Adel kam, immer im Spagat zwischen Ehe, Familie und “Beruf” oder besser, ihrer Leidenschaft, der Malerei.

So wollte ich es auch immer, schon als Teenager. Es erfordert eine beachtliche Portion von Energie, Organisation, den richtigen Mann dafür und – unbedingt (!) – Humor. Ob sie das wohl auch hatte? Ihre Bilder sind dramatisch und düster, von einem überraschenden Realismus. Wenn sie genüsslich als Judith dem Holofernes den Kopf abtrennt, dann kann man eine gewisse diebische Freude entdecken. (Mistkerl)

Abb: Artemisia Gentileschi, Judith und Holofernes, 1612 –21

Mit dreißig war sie so berühmt, dass sie mit ihren beiden Töchtern zurück nach Rom kehrte und wenig später weiter nach Neapel. Sie führte ihre eigene Künstlerwerkstatt und erzielte höhere Preise für ihre Werke als die meisten ihrer männlichen Kollegen. Das soll ihr erst einmal jemand nachmachen heute, schwierig.

Abb: Artemisia Gentileschi, Heilige Katharina, undatiert

Das mit dem Humor war vielleicht doch nicht so ihr Ding, das unterscheidet uns, aber ich lebe auch vierhundert Jahre später und darf mir diesen Wesenszug erlauben. Wenn jedoch bei Artemis Gentileschi das Licht und die Schatten die Frauenkörper modellieren, dann werden sie zu Heldinnen, mutig und unerschrocken, mal kühl, mal raffiniert, klug und immer sehr sinnlich.

Kunsthistoriker sprechen von einer Zerrissenheit und Verletzlichkeit in ihren Darstellungen. Nein, das finde ich nicht, aber es ist ein nicht endendes Sich-Betragen, was mir nicht fremd ist.

Ich entscheide aus der Rückschau, dass Artemisa Gentileschi ein schönes Leben hatte, ein aufregendes auf jeden Fall. Sie hat ihr Talent genutzt, sich einen Platz in der Gesellschaft und in der Geschichte zu erobern. Ihre kritische Auseinandersetzung mit sich selbst hat sie zu den Philosophen und Künstlern ihrer Zeit geführt. Ihre Zweifel und ihre inneren Stürme konnte sie in Kreativität umwandeln.

Einzig, ihr Blick auf den Mann wurde nie zu einem liebenden. Sie sieht ihn lieber serviert auf dem Silbertablett. Schade. Darin liegt die große Kunst, die Selbstbestimmung und das Miteinander in Einklang zu bringen, bis heute hat sich das nicht geändert und beschäftigt genauso mich wie meine Töchter.

Abb: Artemisia Gentileschi, Salome mit dem Kopf von Johannes dem Täufer, 1610 – 15

Artemisia Gentileschi geriet über die Jahrhunderte in Vergessenheit. Eine Wiener Hausfrauenzeitung entdeckte sie 1902 und erwähnt sie erstmalig wieder. Der Kunsthistoriker Roberto Longhi schrieb 1916 über ihr Werk. Ich stülpe sie heute über, trage mein schönes Kleid mit Schmuck, gehe gleich mit ihr an den Strand und werde mit Schmunzeln den Kunden begegnen, die sich wundern, wie ich aussehe, ein wenig over-the-top mit der Portion “Zuviel”, die für das Leben unerlässlich ist. Danke Artemisia.

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