Erster Schnee auf der Insel! Noch liege ich im Bett und höre dieses knarschige Geräusch der Räumfahrzeuge auf der Straße. Im Dunkeln huscht von draußen das orangene Signallicht entlang der Wände in meinem Zimmer. Es weckt in mir Erinnerungen an meine Kindheit mit der Aufregung: erster Schnee. Wenig später sitze ich eingehüllt in meine Decke unten am Schreibtisch, eine Kerze brennt auf der Fensterbank, draußen ist alles bedeckt mit frischem Weiß. Es ist still, keiner da oder alles schläft.
Ich öffne für Euch heute das achte Türchen im Adventskalender. Dahinter verbirgt sich eine Begegnung, Kunst, ein Abenteuer, ganz viel Mut und die innere Freude, etwas einfach gewagt zu haben. Es klingt abstrakt, aber es beschreibt ein Wesen: Taco Sipma.
Letzten Samstag lernte ich den aus Rotterdam stammenden Künstler bei Feinkunst Krüger kennen, wir kommen miteinander ins Gespräch. Sorgfältig vermeide ich die nervigen Fragen: Wie sind Sie dazu gekommen? Was haben Sie Sich dabei gedacht? – Ich sage einfach, dass mir die Bilder ausgesprochen gut gefallen und mich neugierig machen.
Die Arbeiten hängen im Keller der Galerie. Die geweißten und gelöchterten Holzplatten stammen noch von Simon Hehemann. Der Raum wirkt gedrungen, dumpf und ein wenig beengt, aber das scheint gerade richtig für diese Werke, die an Streetart erinnern, als wären sie Ausschnitte aus einer viel größeren Wandfläche in einem U-Bahn Tunnel, hastig gemalt in neobeleuchteten Treppenaufgängen, durch die Menschen in Mänteln mit Taschen hasten. Kunst im Rohzustand.
Es ist seine erste Ausstellung erzählt mir Taco, und nun sind wir doch bei seinem Leben gelandet. Eigentlich ist er Werbegraphiker, aber dann kam Corona und das Business dümpelte vor sich hin. Er begann mit freier Malerei, und es brach förmlich aus ihm heraus, dieses Ungelenke, das so viel mit der Art Brut zu tun hat, mit der autodidaktischen Malerei, den Bildern geistig Behinderter, mit den Außenseitern, die ohne Vorgaben ihre innere Welt nach außen kehren.
Taco Sipma malt und übermalt, er schneidet Teile aus der Leinwand, um sie an anderer Stelle wieder aufzukleben. Ein Zaun läuft quer durchs Bild, Feuer, immer wieder Steaks als Symbol für reich sein, Geld haben, verschwenderisch sein. Seine Ikonographie. Wir Betrachter können ihm zuhören oder uns in die eigenen Phantasien unserer (Alb-)Träume begeben.
Vor mir steht ein Mann mit einer Flasche Bier in der Hand, der nicht unbedingt wie ein Künstler aussieht (die haben sonst gerne Farbspuren an den Händen und an der Hose). Fast wirkt er ein wenig bieder, aber er besitzt dieses Lächeln von jemandem, der den Schritt gewagt hat, raus aus dem Mainstream Leben hin zu den Randgebieten, wo alles unsicher ist, kein festes Einkommen lockt, die Dämonen der Nacht mit lodernden Augen lauern.
Während wir dastehen, füllt sich der Raum mehr und mehr. Ein Bild wird verkauft, das erste in seinem Leben. Ich bin selbst ein wenig aufgeregt, die neue Besitzerin neben mir mindestens doppelt so sehr. Taco’s Freundin steht ein wenig abseits und strahlt, sie ist nun die „Breadwinnerin“, die Künstlergattin, die ihm den Rücken freihält. Sie möchte nicht mit auf’s Bild.
Die Sterne stehen noch am Himmel. Es wird bestimmt ein schöner Morgen. Barfuß gehe ich ein paar Schritte durch den Schnee und denke an den Mann, der für sich einfach mal den Hebel umlegte, um das zu sein, was er wirklich ist. Sollten wir mal drüber nachdenken, bevor wir das Türchen No. 8 wieder schließen. Wir haben doch nur dieses eine Leben.
Die Ausstellung Taco Sipma „On Bended Knees“ in der Galerie Feinkunst Krüger geht noch bis zum 23.12.2022. Kohlhöfen 8, Hamburg-Neustadt. Öffnungszeiten: Do & Fr 12 –19 Uhr, Sa 12 –18 Uhr und nach Vereinbarung: 040-31792158. Vielleicht verbindet Ihr es mit einem Besuch bei uns und schlendert dann weiter die paar hundert Meter in die nächste kreative Welt.
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