Wir sitzen auf Sylt, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, das Meer ist weit, idyllisch könnte man die Stimmung umschreiben, Sommer pur. Surreal erscheinen die Nachrichten aus den westlichen Bundesländern mit dem katastrophalen Überschwemmungen, mit Toten, eingestürzten Häusern, Autos, die von den Fluten mitgerissen wurden. Das gleiche Szenario scheint sich nun auch in Bayern und östlichen Teilen Sachsen zu wiederholen. Fast jeder kennt jemanden, der Betroffen ist.

Abb: Süddeutsche Zeitung, Wochenendausgabe 17./18.7.2021

Natürlich hat es so etwas schon immer gegeben, wie mir vor ein paar Tagen eilfertig gesagt wurde. Natürlich. Nur die Häufigkeit ist neu und wird sich weiter steigern, da sind sich mittlerweile nicht nur alle Wissenschaftlicher einig, sondern auch wir anderen wissen um die existentielle Bedrohung. Nur, wie gehen wir damit um, mit der tiefen Irritation, dem Unwohlsein, was die Zukunft bringt, und dem ängstlichen Verharren in alten Schemata? Wir müssen lernen, neu auf dieser Erde zu „landen“.

Bücher finden einen, so auch der Katalog der Gedankenausstellung „Critical Zone“ des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe (bis 9.1.2022), den ich zu meinem Geburtstag geschenkt bekam. Auf der Suche nach einem Beitrag, der nicht das abertausendste Bedauern mit gesehenen Fotos der letzten Tage präsentiert, blättere ich und beginne zu lesen. Es ist komplex, sehr komplex.

Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahrzehnten ein Netzwerk von Untersuchungen über den ganzen Globus verteilt, sie haben sich die „kritische Zonen“ betrachtet und damit die Fragilität unserer Erde mit Daten belegt. Die Lage ist dramatisch, umso wichtiger ist es, unterschiedliche Perspektiven zu schaffen. Wissenschaft und Politik brauchen dazu die Philosophen, die Künstler, die Literaten, vielleicht auch uns Mode-Designer, gewiss aber uns als Bürger, die wir auf dieser Erde leben mit tradierten Werten und Begriffen von „Heimat“ und „Zuhause“.

Vor Galileo war es Kopernikus, der als Erster die Sonne anhielt und die Erde in Bewegung setzte.

Es geht nicht darum, sich ins All schießen zu lassen, um auf diese wunderschöne blaue Kugel zu schauen und sich anschließend mit Champagner Dusche feiern zu lassen. Nein, es stößt mir übel auf. Es geht darum, die Welt, in der wir leben und die Welt, von der wir leben, wieder in Einklang miteinander zu bringen.

Das englische Wort „Zone“ wird in dem Buch als „unsettled“ beschrieben, nicht abgeschlossen, unklar in seiner Abgrenzung. Es verweigert sich schnellen Erklärungen, die uns zurück zur Tagesordnung führen. Das müssen wir erst einmal aushalten. Es gilt für jeden (!) von uns, „Natur“ in seiner existenziellen Bedeutung wieder verstehen lernen. „No shortcuts allowed.“

Von der kleinsten Zelle bis hin zu komplexen Gemeinschaften und klimatischen Eigenarten, wir sind vernetzt in einem Humboldt’schen Sinne. Die Fluten von Bangladesch sind nicht mehr nur irgendetwas in der Ferne, sondern passiert vor der Haustür. „The Virus did not stop at borders. Climate change does not, either“, wie es in der Einführung des Buches heißt.

Das alles ist anstrengend, schwierig und dauert Zeit, die wir eigentlich nicht haben. Ich lese einmal, ich lese zweimal, markiere Stellen und gehe erneut zurück zum Anfang. Ich verstehe es und verstehe es nicht, obwohl es so eindringlich schlicht geschrieben ist. Vielleicht gerade deswegen. Es fesselt mich! Wir sind mitten drin und sollten endlich mit den „Landevorbereitungen“ beginnen auf dieser „terra incognita“.

Literatur: Critical Zone. The Science and Poltics of Landing on Earth. Bruno Latour, Peter Weibel, Center for Art and Media, Karlsruhe.