Es ist Freitag und keiner kommt. Bridget allein in ihrem „Secret Salon“, oben im Tempel von 1844. Alle Freund*innen waren vergeben, verreist, beschäftigt mit anderen Dingen. Der Wind zerrt an den Fenstern, der Regen prasselt oben auf das Dach, die Kerzen sind an. Diebisch verschmitzt muss ich mir eingestehen: ich finde es herrlich, eine kleine Auszeit, kuschelig zwischen all den Büchern.
Was lese ich zuerst, und worüber denke ich nach, wenn ich meinen Blick durch die kleine Kemenate aus dem Fenster schweifen lasse? An eine Reise, die ich so gerne unternehmen möchte, weit weg in die Südsee, Sehnsuchtsort der Literaten und Künstler im 19. und 20. Jahrhundert.
Wie lange liegt schon Herman Melvilles (1819 – 1891) Buch über seine Fahrt zu den Marquesas im Süd-Pazifik auf meinem Stapel? Er war der erste dort, noch vor Stevenson und Jack London. „Unwiderstehliche Neugierde ergriff mich, die Inseln zu sehen, die die alten Reisenden in so glühenden Farben geschildert haben.“ Schreibt er gleich auf der zweiten Seite … Vergessen ist Hamburg da draußen.
Habt Ihr schon mal ausprobiert, wie es sich in einer Badewanne liest, ich meine ohne Wasser, mit Kissen und Wolldecke? Wunderbar ist es, der Rücken ist gut gepolstert, neben mir die Amatur, durch die Fensterscheiben sehe ich die Tempelruine. Sehr bohemian, sehr romantisch.
Ich blättere wieder in Bruce Chatwin. „Briefe sind die anschaulichste Art des Schreibens“, notiert seine Frau Elisabeth Chatwin im Vorwort. Ich denke an meine unzähligen Briefe. Sie sind der „Rohstoff der Gedanken“, wie es an anderer Stelle heißt. Sein erstes Buch „Patagonien“ liegt auf der Fensterbank.
Manchmal lese ich mehrere Bücher gleichzeitig, aber bei Chatwin ist es etwas anderes, man muss tief eintauchen in seine Art des Erzählens, in der das Gesehene und Erlebte sich plötzlich mystisch verklärt. Ich lege es zur Seite und kehre zurück zur Südsee, blättere in den Kurzgeschichten von Jack London.
Handgestricktes Dreiecks-Tuch, Cashmere-Wolle (€ 398)
… oder Nellie Bly (1864 – 1922) „Around the World in 72 Days„. Sie gewann die Wette, stellte Jules Vernes literarischen Rekord ein, wurde die schnellste Frau des 19. Jahrhunderts und eine begnadete Reiseschriftstellerin. Will ich auch werden und nächste Kollektionen entwerfen und die Welt neu denken … – hier oben und da draußen.
Wie spät mag es wohl sein? Ich hatte gesagt, ich bin ganz schnell wieder zurück … Und nun? Meine Armband-Uhr, eine Accutron von 1961, die auch Joseph Beuys trug, zeigt an, was sie will, nur nicht die korrekte Zeit. Sie ist wie der Kompass bei Captain Jack Sparrow. – Ich sortiere kurz meine geistigen Besitztümer und die Bücher rundherum.
Nächsten Freitag, den 10. Februar 2023, komm ich aus Paris zurück, und wir treffen uns ab 16:00 Uhr für die versprochenen Briefe von Bruce Chatwin.
Freue mich auf Euch, dann dürft Ihr ins Bett schlüpfen oder Euch auf das Sofa setzen. Meinetwegen unterhalten wir uns auch im „Badezimmer“. Ich habe schon eine Idee. Anmeldung unter: birgit@romaetoska.de
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