„Architecture acts as a hyphen (Bindestrich) between the past, present and future.“ (Tadao Ando) – Der Satz beschreibt auf tiefgründige und zugleich bescheidene Weise, was sich so großartig im Herzen von Paris zeigt: Das soeben eröffnete Museum der Sammlung zeitgenössischer Kunst von François Pinault. Das Gebäude umfasst vier Jahrhunderte von Baustilen, von dem Portikus des ehemaligen Palastes von Catherine de Medici bis zur ersten Glas- und Metallkuppel der Welt von 1813. Zuletzt wurde es 1889 umgestaltet zur „Bource de Commerce“.

Es ist ein Geniestreich des japanischen Stararchitekten: wagemutig, konsequent und doch so unglaublich sensibel setzte er einen Zylinder aus Beton in den kreisrunden Saal, erhielt das Historische und schaffte eine komplett neue Konzentration auf das Wesentliche: Raum und Kunst. Ich bin bewegt, entstanden ist ein seltenes Werk schönster Museumsarchitektur.

Die Besucher sprechen leise, man nimmt sie gar nicht wahr, endlich kommt wieder etwas in einen Ausstellungsort, was dort hingehört: das beredete Staunen, das ehrfürchtige Verharren. Wie habe ich es vermisst, der Louvre hat es schon lange verloren und mit ihm so viele andere Museen, in denen es eher zugeht wie auf Flughäfen oder Bahnhöfen.

In der Mitte der Rotunde steht die Arbeit von Urs Fischer, komplett aus Wachs, Untitled (Giambologna), 2011. Kerzen brennen die Skulptur langsam runter bis sie irgendwann verschwinden wird, genauso wie die Sitze aus dem Flugzeug (aus Wachs) …

Objekte unserer Kulturgeschichte werden zu Nichts, zu einer undefinierten Abstraktion mit wagen Erinnerungen. Schweigsam gehen wir weiter zu den Nachbarräumen, als würden wir eine neue Verantwortung gegenüber unserer Vergangenheit und Zukunft verspüren.

David Hammons, 1943 in Harlem, New York geboren, ihm ist eine Ausstellung in der Ausstellung gewidmet, präsentiert wie es schöner und subtiler nicht sein kann. Sofort ist die ganze Aura einer Kunst zu spüren, die im Alltag von Afro-American-Struggle verankert ist.

Hammons sammelt, was er auf der Straße findet, und fügt es im Atelier zu einer Ready-Made Erzählung, die Plastiktüten, das Basketball-Netz, die toten Katzen von der Straße, nun ausgestopft auf riesigen Säulen aus Holz, umgedeutet zu Trommeln. Die Tiere ruhen, sie schlafen, der Tod scheint friedlicher als das Leben auf dem Asphalt … – „calm radicality“.

Seit über 40 Jahren hat der Geschäftsmann François Pinault, Besitzer der Kering-Fashion-Group (Gucci, Saint-Laurent, Bottega Veneta …, 13,1 Milliarden Umsatz), Kunst gesammelt. Werke seit den 1960er Jahren, unangepasst, aufrüttelnd, verstörend und von einer sagenhaften Qualität. Wir gehen die Stufen an der Außenseite des Tadeo-Ando-Zylinders hoch. Die Proportionen stimmen auch hier.

Der Blick fällt auf die 52 Tauben von Maurizio Cattelan, Others, 2011, die aussehen, als wären sie die wahren Bewohner dieser Architektur. Sind sie echt oder falsch, das Verwirrspiel zwischen Natur und Kultur setzt sich fort. Wo positioniert sich die Kunst? Wird sie zu einem Teil unseres Lebens, wie sie es immer gefordert hat?

„One of these two vases is fake“, wieder ein Alltagsgegenstand, diesmal in seiner technischen Reproduzierbarkeit, von dem Künstler Bertrand Lavier. Der Gedanke geht weiter zu Walter Benjamin und unsere Entfremdung von dem Original.

Die Zeit vergeht, ohne dass wir es merken, Fotografien, Malereien … und am Ende noch ein Bild von Martin Kippenberger, das mir schier das Herz zerreißt: „Bitte nicht nach Hause schicken“.

Hinter uns liegt ein Gang durch Geschichte, durch Architektur und durch eine Kunst, die so elementar mit uns verwoben ist. Es kommt mehr denn je drauf an, die richtigen Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen, die sich existentiell um unser Dasein drehen. Kunst ist nicht dazu da, um uns zu „erfreuen“ (delectare), sondern um zu mahnen. Wir haben nur diese eine Welt. Morgen wählt Deutschland, auch daran muss ich mit diesen Zeilen denken.

„With this new museum, in the heart of Paris, I intend to share my passion for contemporary art.“ (François Pinault).

Wieder mein Rat: Hingehen und sich darauf einlassen. La Bource de Commerce / Sammlung Pinault. Eröffnet Ende Mai 2021. 2, rue de Viarmes, 75001 Paris. Mo – So von 11 – 19 Uhr. Dienstags geschlossen, Freitags bis 21.00 Uhr.