Es ist ganz früh am Morgen, Station Boulevard de la Tour-Maubourg, Metro No.8, dann umsteigen in die No.1 bis Charles de Gaulle Etoile. Ich möchte den Arc de Triomphe verhüllt mit den ersten Sonnenstrahlen sehen. Mein Outfit, als käme ich noch von der Nacht, das neue oversized Hemd, die Manschetten offen, die schwarze Herrenhose von Dries van Noten, die Ketten, die hellen Stiefel, ungekämmt. Und dann steht sie da, diese „Skulptur“ von Christo und Jeanne Claude im zarten rosafarbenen Licht. Auf der einen Seite scheint noch der Mond, auf der anderen die Sonne mit dem Eiffelturm. Was für ein Anblick.
Die endlosen Bahnen aus silbernem Aluminium und blauem Poloypropylen legen sich in schwere Falten, erinnern an die Grisaille Malerei der Renaissance, an das Gewand einer griechischen Skulptur oder an die emporstrebenden Säulen einer gotischen Kathedrale. Es ist alles zugleich, Hülle und Verhülltes lassen sich nicht mehr voneinander trennen.
Der Kreisverkehr strömt um mich herum, mit den Sirenen der Polizeifahrzeuge und Ambulanzen, dem üblichen Gehupe, und doch ist es erhaben, was vor mir steht.
Die Süddeutsche Zeitung zitierte in ihrer Montagsausgabe (20.9.2021) über die Verhüllung den Philosophen Edmund Husserl: „Um sich dem Wesensgrund einer Sache philosophisch zu nähern, soll man versuchen, alles, was man darüber weiß, also die Urteile, die Geschichte, auszuklammern.“ Erst dann beginnt man, das Wesen der Dinge zu schauen. Wie wahr, das Denkmal aus dem Jahre 1836 hat sich auflöst, hat eine neue sakrale Deutung erhalten und wird – zumindest für die, die sich einlassen, die einen Moment innig ausharren – nie wieder das Gleiche sein wie zuvor.
Wenn es stimmt, dann haben Christo und Jeanne Claude schon 1961 das erste Mal über das Projekt nachgedacht. Sie starb 2009, er kurz vor der Realisierung. Dann kam Corona und alles verschob sich. Es war der Herzenswunsch des Künstlers, dass sein Neffe es fertigstellte. Von hier aus, darf man es auch betrachten, als Vermächtnis, wie Kunst Geschichte umdeuten kann. Statt dem Siegeszug der Heere wird der verhüllte Arc de Triomphe zu einem universellen Glauben an das ewig Schöne. So würde ich es interpretieren an diesem Morgen.
Schon am Abend zuvor waren wir dort, zu dritt, Toska, Hannes und ich. Ein ganz anderes Bild zeigte sich uns. Das harte Licht der riesigen Strahler und der dunkle Nachthimmel machten aus den Stoffbahnen eine real gewordene Zeichnung.
Was sich bei Tag als Falten zeigt, sind in der Dunkelheit Linien wie von einem Bleistift gezogen. Die Körperlichkeit wird zu einer zweidimensionalen Skizze, technisch, konstruktivistisch, minimalistisch.
Das Ticket für € 16,00, um auf das Monument zu steigen, ist vielleicht nicht nötig. Und dennoch, bei dem Licht des Vollmondes wirkt es oben unwirklich, wie eine Landschaft auf einem anderen Planeten. Der gemeißelte Stein mit seinen Figuren und Ornamenten darunter ist nicht mehr spürbar.
Wie ende ich nun diesen Beitrag? Wenn ich den verhüllten Reichstag (1995) mit dem verhüllten Arc de Triomphe vergleiche, so erinnere ich ersteren als einen verblüffenden Ort des Friedens, wie alle einträchtig davor saßen oder spazierten, das Symbol der Macht hatte sich verflüchtigt.
Das jetzige und letzte Projekt von Christo und seiner Frau ist anders, der Lärm der Großstadt drängt sich auf, will mühsam ausgeblendet werden, die freundlichen Wächter in blau-gelb, die sich in die Bilder drängen, die Menschen, die so touristisch aussehen … Aber irgendwann, wenn man ganz ruhig wird und alles rundherum vergißt, dann besitzt dieses Werk die Kraft von Ewigkeit, die die Kunst in ihrer Höchstform ausmacht.
Mein Rat: anschauen! Bis 3. Oktober 2021.
Liebe Birgit, ich bin Montag und Dienstag in Paris um mir christos letztes Projekt anzuschauen – Du hast es so wunderbar beschrieben, sodass meine Vorfreude noch größer geworden ist.
Liebe Grüße, Irene
Liebe Irene, ich bin sehr gespannt auf Deinen Eindruck. Nimm Dir Zeit und blende die Touristen und das Geschehen um Dich herum aus.
Danke, liebe Birgit, für diese großartige Beschreibung! Ich hatte gehofft, es gäbe noch weitere Projekte, die der Neffe Christos umzusetzen hätte, schade, dass dies das letzte sein wird.
Mode ist Verhüllung auf Zeit! In diesem Sinn viel Erfolg in Paris.
Grüße aus München,
Deine Ute und Paul