Die längste Nacht liegt hinter uns, der kürzeste Tag vor uns. Wintersonnenwende. Mein Mann atmet auf und sagt: „Jetzt geht es wieder bergauf.“ In der Mythologie und im Brauchtum ist es einer der wichtigsten Tage im Jahr. Wir wachen auf aus der Thomasnacht und begeben uns in die Raunächte (das genau Datum variiert je nach Region, ob mysthisch oder religiös interpretiert). Elf Tage und zwölf Nächte, die für unsere Wünsche reserviert sind.

Ich liege oben in meinem Bett im Tempel, dieser Halbruine, in der das Schweben zwischen den Welten nicht schwerfällt. Halbdunkel ist es und kuschelig warm unter der Decke. Bewusst halte ich meine Gedanken eine Weile in einem diffusen Wachzustand. Was werden meine Wünsche für das kommende Jahr sein?

Vintage Pierre Cardin Kette, Anfang 1960 (€ 1.400)

Die Raunächte sind kalendarisch aus der Differenz zwischen dem Mondjahr mit 354 Tagen und dem Sonnenjahr mit 365 Tagen entstanden = 11 Tage und 12 Nächte. Und einem Dreizehnten für einen extra Wunsch mit universellem Charakter.

Man nennt sie auch die „toten Tage“, denn sie existieren außerhalb der Mondrechnung in einem undefinierbaren Zwischenbereich. Und alles, was aus der Zeit gefallen ist, ist besonders, denn die Gesetzmäßigkeiten sind aufgehoben genauso wie die Grenzen zwischen gelebten Leben, Vergangenheit und Zukunft. Alles wird wieder eins wie in unserer Kindheit.

Ich könnte meine Gedanken in mein Childhood Buch notieren, um es zu meinem ganz persönlichen Märchen-Traum-Wunsch-Buch zu machen. Christine hat schon hineingeschrieben und Katrins Weihnachts-Grüße kleben auf Seite 3. Ein schöner Gedanke.

Ich schreibe einfach los, beherzt und spontan. Der Bleistift gleitet über das weiche Papier. Wort um Wort addiert sich und bringt wie so oft etwas zu Vorschein, dass ich so zuvor noch nicht gedacht habe. Nebeneinander sind die Bücher aufgeschlagen, sie besitzten das gleiche Format, Din-A4, sie gehören für diese Kollektion zusammen.

Was ich im letzten Jahr notierte, ist übrigens alles (!) in Erfüllung gegangen. Ich wollte Schriftstellerin werden. Mutig, klar und deutlich meine Meinung sagen. Ein paar Menschen, die mich begleitet haben, loslassen. Andere Freunde dafür finden, um eine andere Wegstrecke gemeinsam zu gehen. (…) Genauso wie jetzt, schrieb ich es einfach hin, mit dem Verwundern, ob es wohl Wirklichkeit werden könne.

Wem das alles zu spinnert ist, dem sei gesagt, es hilft, sich zu fokussieren, und warum dafür nicht eine Zeit im Jahr wählen, die düster und versponnen ist, zu der die Kerzen gehören und der Duft von Tannengrün.

Vielleicht noch ein Hinweis, schreibt keine banale To-do-Liste auf, schreibt, was wirklich wichtig ist, etwas, das seit der Kindheit unerledigt blieb oder wieder gelebt werden will. Ich habe so ein paar Dinge, die sich noch erfüllten mögen.