Gestern gab es keinen Beitrag, ein alter Freund ist in Paris gestorben: Comte Elie de Robin, Spross aus altem bretonischen Adel. Diese Nachricht gehört nicht in einen Fashion Blog, sondern eher ins Tagebuch, aber es geht um die große Kultur des Erzählens, die die Phantasie beflügelt und die Realität eine andere werden lässt. Elie war darin ein Meister, und das will etwas heißen, wo ich von begnadeten Fabulierern umgeben bin. Genüßlich erzählte er, so wie man einen Kuchen mit Blicken umkreist, um dann davon zu naschen, langsam Stück für Stück, jedes Aroma auskostend bis er komplett verspeist ist.

Das erstes Mal begegnete ich Elie, da war ich 28 Jahre alt und gerade mit meinem Mann zusammen. Mit dem Käfer Cabrio fuhren wir von Paris in das Departement Mayenne bis zu dem kleinen gleichnamigen Fluss. Auf der Brücke sollten wir nach links hinüberschauen, dort würde ihr Haus stehen. Ein Haus? Nein, es war ein richtiges Schloss, Schloss Montgiroux.

Wenig später standen wir in der großen Eingangshalle und wurden auf das Herzlichste begrüßt von Elie und seiner Frau Beata, einer Polin und Freundin von Krzysztof, dem in dem ganzen Gemenge mein Name nicht mehr einfiel. Soll vorkommen unter Frischverliebten, aber das ist eine andere Geschichte.

Später saßen wir in dem Salon am Kamin und Elie erzählte seine erste Geschichte. Es schien, als würde er sie nur für mich erzählen, so intensiv hörte ich zu, konnte mit seinem schönen Französisch jedes Wort verstehen und fühlte mich so warmherzig willkommen in seinem Kreis. Es ging um das Schlossgespenst, das abends sein freundliches Unwesen treiben würde, die schweren Samtvorhänge zum Rascheln brachte, mit den Fenstern klapperte. Er führte immer weiter aus, war sich seiner Zuhörer gewiss, berichtete von dem amerikanischen Besuch, der in Angst und Bange versetzt wurde. Auf seinem Gesicht lag das für ihn so typische leichte Schmunzeln mit der souveränen Gewissheit, dass sie alle gebannt lauschten.

Zwischendurch ließ ich meine Augen durch den Raum wandern, schelmisch wie er und neugierig besorgt wie die Amerikaner. Hatte sich da etwas bewegt? Was ist, wenn ich nachts einmal raus müsste, entlang des düsteren Ganges vorbei an der Ahnengalerie zum Badezimmer … ? Herrlich schauderhaft!

Viele Jahre danach saßen wir immer in der Küche im Souterrain seines Stadthauses in Paris-Neuilly. Elie schenkte den Wein ein und setzte den Korken sofort wieder drauf, stellte die Flasche zur Seite, sie könnte ja noch für morgen reichen. Beata kochte, und es gab die nächsten Geschichten. Sein Repertoire war unerschöpflich, wie über die letzten Jahre seiner Tante, der Marquise, die ihren ganzen Besitz verscherbelte, um das Geld einem Schweizer Arzt zu geben, der ihr versprochen hatte, dass sie neben ihm 100 Jahre alt werden würde. Sie wurde 99, immerhin und hatte Spaß, auch gut, für die Familie blieb allerdings nicht mehr viel zu erben. Eine Kuhglocke auf dem Tisch, mit dem das Küchenmädchen gebimmelt wurde, erinnerte an die glückliche Liaison der Madama La Marquise und die verprassten Millionen. Andere hätten die Geschichte mit Wut und Gram erzählt, aber Elie verlor nie seine charmante Contenance.

Ganz anders bei dem Bericht von dem armen Mann, der vom Fahrrad fiel, weil er Knoblauch gegessen hatte. Oder von der polnischen Putzfrau, der er mit Ganz-Körper-Gestik erklärte wie eine Waschmaschine funktionierte, indem er seinen Kopf im Schleudergang drehte. Polnisch lernen, niemals. Herrlich auch die Geschichte von dem Cousin in London, der wegen diverser Schnellfahrdelikte vor Gericht stand und dem Vorsitzenden kurzerhand entgegenschleuderte: Kopf ab, das hätten seine Vorfahren früher mit dem Richter gemacht!

Ach, Elie, ich werde Dich vermissen, Du schienst irgendwie nie älter zu werden. Und immer hast Du neugierig und gebildet mir zugehört. Wenn mein Französisch ins Stocken geriet, hast Du auf Deutsch weiter geholfen, fließend zu meinem Erstaunen. Immer entstand eine kleine Welt der freundlichen Zugewandtheit, in dem sich die Sorgen des Alltags mit Anekdoten aus der Vergangenheit relativierten. Das ist die große Gabe des alten Adels, irgendwie gab es in der Vergangenheit irgendwo eine Tante, einen Onkel, eine Cousine oder Cousin, die Ähnliches aber viel schlimmer erlebt hatten. Und das hast Du mit so viel Genuss und Leichtigkeit geschildert, dass wir uns in Deinem kleinen Kreis prosaisch willkommen fühlten.