Zeitschriftenstand Dorfladen Kampen auf Sylt. Gerade habe ich einen einstündigen Fussmarsch hinter mir. Schaumbad im stürmischen Meer. Nun noch schnell die Brötchen für das Frühstück im Garten. Idylle. Schnell überfliege ich die Headlines, bleibe bei der Frontpage der WELT hängen und einem Foto, das mir für lange nicht mehr aus dem Kopf gehen wird.

Es zeigt das Gesicht einer jungen Frau mit einem Lächeln, das für „Unkaputtbar“ steht. Hinter ihr düster vermummte Polizei, wie in einem Sciencefiction, nur das es brutale Realität ist.

Der Text ist ungewöhnlich, überraschend betroffen, beteiligt. Ich werde ihn abschreiben, um mir den Inhalt Wort für Wort einzuverleiben und um mit meinem Gedanken bei dieser mutigen Frau zu sein und all den anderen, die für eine bessere Welt mit ihrem Leben einstehen: Wo ist Maria Kolesnikowa?

Am Mittwoch wurde Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko zum sechsten Mal in seinem Amt eingeführt. Nein, das zeigt WELT nicht. Wir zeigen ein Bild von Maria Kolesnikowa, die mit Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo an der Spitze der Opposition stand und als Einzige der drei Frauen noch in Weißrussland ist. Vor genau zwei Wochen wurde sie auf offener Straße verschleppt. Ein Versuch, sie unter Zwang in die Ukraine abzuschieben, scheiterte. Über ihren Anwalt ließ sie danach mitteilen, man habe ihr gedroht, sie „ganz oder stückweise“ außer Landes zu schaffen. Seit dieser Folter- und Mordankündigung, ist Maria Kolesnikowa verschwunden. Deshalb möchte man jetzt nicht sehen, wie Lukaschenko munter seine sechste Amtszeit antritt, nachdem er zahllose Demonstranten hat misshandeln lassen. Man möchte jetzt Maria Kolesnikowa sehen – freigelassen, ohne Folterspuren und ohne Angst im Gesicht. (Auszug aus DIE WELT, 24.9.2020)