„… dann kann er was erzählen“, sagte mein Großvater immer, und blieb doch in seinem Ohrensessel zu Hause sitzen mit dem Blick auf die Garage, wo sein polierter BMW stand. Vor zwei Tagen hatte ich mich aufgemacht von Sylt quer durch Schleswig-Holstein nach Gut Rohlstorf zum verabredeten Vintage Bazaar. Mit dabei zwei Koffer à ca. 40 Kilo und eine klappbare Kleiderstange, ca. 8 Kilo. Eigengewicht derzeit ca. 59 Kilo.

Die Fotos geben einen romantischen Einblick des Ziel-Ortes. Die Zwischenstationen auf dem Weg dahin geben ein traurigers Bild deutscher Bahnhöfe. Ich hatte vergessen zu fotografieren oder mir fehlte die freie Hand dazu beim Umsteigen. Ihr müsst es Euch einfach vorstellen, während ihr die Rohlstorf-Schloss-Idylle genießt.

Der Beginn der Reise verlief ausgesprochen positiv. Abfahrt Westerland/Sylt bei Sonnenschein am Samstag Nachmittag. Erster Hinweis: Umsteigen in Heide. Die Fahrstühle sind ausgefallen. Hektisch schaute ich mich nach muskulösen Herren um, da der Schaffner meinte, einen Trägerservice gäbe es schon lange nicht mehr. Die Elektrik tat es dann doch. Anschluss geschafft.

Neumünster, dort von Gleis 4 zu Gleis 2 oder umgekehrt. Einmal die Unterführung (mir wird geholfen) durch, Tumult, Polizeieinsatz und kleine Raufferei auf Bahnsteig No.2. Die Bahn wird umgeleitet, fährt auf der anderen Seite ab. Ankunft Bad Segeberg (17.000 Einwohner), pünktlich. Aber es gibt keinen Bahnhof mehr, sondern nur ein windiges Eck mit einem assigen Discounter für Schuhe (geschlossen). Freundin Linda (Ardmore) rauscht mit ihrem Silberpfeil Mercedes vorbei, anstatt mich einzusammeln. Mit nackten Beinen im Faltenrock positioniere ich mich unter der Leuchtreklame „Kaufland“. Wir finden uns eine halbe Stunde später. Der Abend auf dem Gut wird schön, herzlich in der Runde bei Wein, beschmierten Broten und selbstgebackenem Kuchen.

Nächsten Tag Sonne. Fotos. Bazaar. Freundliche Menschen, Würstchen und selbstgemachter Honig, den ich nicht einpacke. Es mussten noch ein paar andere Sachen aus Hamburg mit in den Koffer zurück auf die Insel.

Sonntag, 18:04 Uhr. Ich rumpele mit meinen immer noch 2 x 40 Kilos, Kleiderstange und ähnlichem Eigengewicht über die Gleise des nicht existierenden Bahnhof Bad Segeberg. Positioniere mich auf der Seite „Richtung Neumünster“ und wundere mich, dass bei mir niemand steht, jedoch gegenüber sich alles drängelt. Jemand ruft in gebrochenem Deutsch: „Nix Abfahrt, Baustellen. Hier Abfahrt.“ Oh weh, das schaff ich nicht in zwei Minuten mit diesem Geraffel. „Wer kann tragen helfen“, brülle ich zurück und der sympathische Mann eilt mir entgegen.

Ardmore Keramik Dose mit Nashörnern

Erster Zugwechsel in Neumünster. Vier Minuten Umsteigezeit. Ein schmächtiger Herkules wuchtet die beiden Gepäckstücke die Treppen runter und wieder hoch. Mädchenhaft kokett eilige ich hinterher. Geschafft. Dann weiter nach Rendsburg (28.000 Einwohner). Hier gibt es 37 Minuten Aufenthalt. Es ist mittlerweile dunkel und eisig kalt (diesmal Faltenrock mit Strumpfhose). Ich versuche ein Heißgetränk aufzutreiben. Unten nur abweisende Leere. Meine Tochter würde sagen: „räudig“.

Die Nachbarn maison f. aus Hamburg

Was ist nur los mit Norddeutschlands Bahnhöfen, diesen ehemals preußischen Backsteinbauten, die eine so lange Kulturgeschichte besitzen, einst stolze Wahrzeichen von Fortschritt und Mobilität, Begegnungsstätten von Menschen auf der Durchreise. Abgerissen. Jetzt sind sie stinkende Aborte und Schlafstätten von Obdachlosen. Die Fenster der Kioske und Schalterhallen sind vernagelt.

Kleine Pilze von maison f.

Also Wolldecke und Cashmere Schal. Ich versuche es mir auf der Bank in dem kleinen Unterstand halbwegs gemütlich zu machen. Betrachte die hübschen Bilder vom Gut Rohlstorf Event. Dabei beobachte ich diskret eine junge Muslimin in Kopftuch, wattiertem Mantel, Schlabberhose, Socken in Sandalen, die verdächtig nah an der Bahngleis-Kante spaziert. Sie hört laute Musik, singt mit. Eine kleine Szenerie, die verstörend wie aus einem David Lynch Film sein könnte. Muss ich mir um sie sorgen machen? Irgendwann ist sie verschwunden.

Christiane Gräfin zu Rantzau war mit dabei

Ein Soldat neben mir wird zum zukünftigen Koffer-Träger erklärt und erzählt mir dafür seine Lebensgeschichte. Wie er locker marschiert mit 40 kg. auf dem Rücken und Sturmgewehr. Er röchelt, als er mein kleines Hab-und-Gut in den Zug geladen hat und verzieht sich in das hintere Abteil.

Wir, denn was wäre ich ohne den Soldaten, der zwar vorgibt, sein Bein wäre eingeschlafen, aber das lasse ich nicht gelten, also wir schaffen in Husum den Zug nach Westerland. Die Zeit reicht gerade noch für DeBeukela Kekse aus dem Automaten (€ 1,00). Ich bin glücklich wie ein kleines Kind. Es geht nach Hause, Socken an, Decke umgehüllt und ein Buch vor der Nase. So zuckele ich mit nur 10min. Verspätung über den Damm nach Westerland.

Sparsam nehme ich den Bus, der schon bereitsteht, und rolle anschließend die letzten 300m zu Fuß die Dorfstrasse entlang. Fast kann ich schon das Licht vom alten Kapitänshaus sehen. Doch dann wird es noch mal richtig heftig mit Böen aus Nordwest, die die Breitseite meiner Rimowa-Koffer ungeschützt treffen. Es bringt mich ab vom Kurs. Noch ein letztes mal muss ich alle Kräfte zusammenreißen, um es bis zur Tür zu schaffen. 22:12 Uhr. Home!

Danke Annette Gräfin von Rantzau für die liebevolle Organisation auf Gut Rohlstorf.