Heute morgen las ich wieder einmal die verstörenden Nachrichten aus den „Geteilten Staaten von Nord Amerika“, in denen die Trumps und Kavanaughs die Oberhand besitzen und die anderen (scheinbar?) vergeblich versuchen, sich mit ihren Protesten Gehör zu schaffen. Plötzlich überlegt man ernsthaft, ob man überhaupt noch in dieses Land reisen möchten … Zum Glück gibt es Christiane, Christiane von Korff, Kulturjournalistin, Freundin und im besten Sinne Roma e Toska Botschafterin, die ein anderes Amerika aufzeigt. Vor ein paar Tagen hat sie schon einmal an dieser Stelle berichtet. Zurück in New York hat sie erneut geschrieben …
USE IT OR LOOSE IT. Bericht aus New York von Christiane von Korff
Ich bin auf dem Weg zu meinen Freunden Gary Weimberg und Catherine Ryan, die ich vor dem Eingang des Restaurants Petrossian treffe.
Die Filmproduzenten sind von der Westküste aus Berkeley an die Ostküste nach New York angereist. Sie sind zur Emmy Celebration eingeladen, denn Ihr Dokumentarfilm „My Love Affair with the Brain“ ist für den Emmy, den Oskar des Fernsehens, nominiert.
Gary und Cathy haben ihre Freunde zu einem Besuch des Musicals „The Bands Visit“ eingeladen, das im Barrymore Theater am Broadway spielt. Es ist mit sage und schreibe zehn Tony Awards ausgezeichnet und immer ausverkauft, auch die Vorstellung, die wir am frühen Nachmittag besuchen.
Das Musical basiert auf dem gleichnamigen Film, (der Film in Deutschland lief unter dem Titel „Die Band von nebenan“) der auf den Filmfestspielen von Cannes die Jury-Auszeichnung Coup de Coeur erhielt. Schon der Film, eine Parabel über die Verständigung zweier Völker, hatte mich zum Lachen und zum Weinen gebracht: Ein ägyptisches Polizeiorchester, das die Eröffnung eines arabischen Kulturzentrums in Israel musikalisch begleiten soll, steigt am Flughafen in den falschen Bus und landet irrtümlicherweise in einem trostlosen israelischen Kaff, wo es weder ein Kulturzentrum noch ein Hotelzimmer gibt. Die acht arabischen Musiker nähern sich den jüdischen Bewohnern an. Sie flirten, tanzen, trinken, eine ganze Nacht lang. Das Broadway Theater ist rappelvoll und das Publikum geht mit den grandiosen Schauspielern und der oft komischen und manchmal melancholischen Aufführung mit. Immer wieder Zwischenapplaus, am Ende Standing Ovations bis das Orchester eine Zugabe gibt.
Am Bühnenausgang eine Traube von Fans, uns kommt Sasson Gabai entgegen. Der israelische Hauptdarsteller – er wurde für seine Rolle des ägyptischen Colonel Tawfiq Zacharya mit dem Europäischen Filmpreis geehrt. Auf meine Frage, ob er extra für das Stück ein paar Sätze arabisch gelernt habe, erklärt er mir lächelnd, dass er die Sprache fließend spräche, da er in Bagdad geboren sei und seine Familie, irakische Juden, nach Israel immigriert seien. Wir stellen fest, dass wir einen gemeinsamen Freund haben: Avi Primor, Dekan des von ihm gegründeten trilateralen Studienganges, an dem israelische, palästinensische und jordanische Studenten auch in Zeiten des Krieges gemeinsam teilnehmen. Avi hat als Botschafter sein Land Israel vertreten; sein Bruder, erzählt mir Gabai, sei im israelischen Außenministerium beschäftigt. Große – kleine Welt trifft sich in New York, denke ich und bitte Sasson mir seinen Namen zu buchstabieren, damit mir kein Fehler unterläuft. Völlig unprätentiös und höflich tut er dies. Nachdem er gegangen ist, erklärt mir ein Mann, der sich mir als Besucher aus Tel Aviv vorstellt, Sasson Gabai sei ein Star. Als ich später Gabais Biographie google, denke ich, oh, preisgekrönt, in Hollywoodfilmen gespielt, jetzt am Broadway und ich lasse mir seinen Namen buchstabieren! Wie peinlich! Nein, eigentlich eine schöne Erfahrung, ein liebenswürdiger Mensch, der höflich ist und keine Starallüren hat.
Auf der Dachterrasse von New Yorker Freunden genießen wir den spektakulären Blick, wir essen, trinken, lachen und reden auch über die ME Too Debatte. Gary erzählt, er sei Feminist und deshalb habe ihn und Catherine Ryan inspiriert, einen Film über Marian Diamond zu drehen. Die preisgekrönte Neurowissenschaftlerin, Mitglied der Hall of Fame, hat sich vor mehr als einem halben Jahrhundert in dieser von Männern beherrschten Disziplin mit ihren bahnbrechenden Forschungen durchgesetzt.
Durch die Vermittlung von Gary und Catherine habe ich Marian Diamond interviewen und sie bei einer Vorlesung erleben dürfen. Da war sie schon 85, eine elegante Dame mit silbergrauem Haar, die an der Universität Berkeley lehrte. Als sie den Hörsaal betrat, schauten ihr siebenhundert Studenten gebannt zu, wie sie eine bunte, mit Blumen bemalte Box auf das Pult stellt und sich blaue Latexhandschuhe anzog. „Nehmen Sie sich in Acht vor einer Dame mit Hutschachtel, Sie können nie wissen, was sie da mit sich herumträgt.“ Gelächter. Die Professorin hob den Deckel und zog keinen Hut hervor. Sondern: Ein menschliches Gehirn. In langjährigen Laborversuchen bewies Marian Diamond, dass unser Gehirn dynamisch und nicht wie nach vorherrschender Lehrmeinung statisch ist, wie ein unveränderbarer festverdrahteter Computer. Bis ins hohe Alter können sich immer wieder neue Nervenzellen bilden, wenn das Gehirn stimuliert wird.
Und wie können wir unser Gehirn fit halten? Ganz einfach, erklärte Diamond auf einer Konferenz vor hunderten männlicher Kollegen: „Use it or loose it!“ Fünf Faktoren sind entscheidend: Ausgewogene Ernährung, Sport, geistige Herausforderung, immer wieder Neues ausprobieren – und Liebe. Liebe? Ungläubiges Gelächter. Typisch Frau, wie sie das denn beweisen wolle? Diamond konnte. Diejenigen der Laborratten, die sie und ihr Team täglich gestreichelt hatten lebten bis zu 200 Tagen länger. 200 Tage entsprechen etwa 20 Jahre eines Menschenlebens! Heute gehören auch diese Erkenntnisse längst zum Allgemeinwissen. Doch es kam noch schlimmer für die ‚Herren der Schöpfung’: Marian Diamond erforschte Jahre später die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen und fand dabei heraus, dass das männliche Gehirn im Alter seine dominanten Anteile verliert. Der Mann, sagte sie mir im Interview, wird weiblicher. Na, da besteht ja noch Hoffnung – der Mann wird wenigstens auf seine alten Tage weise.
Am Abend taucht das Empire State Building in rosarotes Licht, und wir Freunde verabschieden uns. Am nächsten Morgen mache ich mich wieder auf den Weg. New York, die Stadt, die nie schläft, kann einen schnell verschlucken, mit ihrem Gedränge, ihrem Tempo, ihrem Lärm – wenn es nicht wunderbare Oasen gäbe. Auf zum Central Park.
Ein Ort der Ruhe und Entspannung, in dem sich mein Laufschritt-Tempo ganz von selbst drosselt. Paare liegen auf der Wiese oder auf den Schieferfelsen, im Hintergrund das Essex Haus, 1931 erbaut und eine Ikone des Art Deco. Am Bryant Park könnte ich eine Runde Karussel fahren.
Doch mich lockt das MoMA, das Museum of Modern Art.
Hier schaue ich mir die „City Dreams“ an, die bunten und lebensfrohen Städte des Kongolesen Bodys Isek Kingelez. Seine Städte, deren Gebäude größtenteils aus Papierprodukten, Farbe und Klebstoff bestehen, sind eine Mischung aus Baustilen und fantastischen Vorstellungen. „The City“, schrieb der amerikanische Soziologe Richard Sennett, „is the place where strangers meet.“
Ich habe noch ein wunderbares Treffen vor mir. Nicht mit Fremden, sondern mit Freunden, dem wunderbaren Schriftsteller Louis Begley und seiner Frau, der Historikerin Anka Muhlstein …
Christiane von Korff ist Kulturreporterin und Autorin für Spiegel Wissen, stern, die Zeit. Ihr Markenzeichen sind Porträts und Gespräche mit Persönlichkeiten aus Kultur und Literatur. Gemeinsam mit Avi Primor schrieb sie das Buch „An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld. Deutsch-jüdische Missverständnisse“.
Schreibe einen Kommentar