Wir sprechen über eine Bedienungsanleitung, wie man zu Macht gelangt und wie man Macht erhält. Es geht um Machiavelli (1469 – 1527) und „Der Fürst“ („Il Principe“). Verblüffend und beinahe irritierend, wie diese vor 500 Jahren veröffentlichte Schrift (1513) nichts an ihrer strategischen Aktualität verloren hat. Eingeladen hatte ich zu einer neuen Folge von „Töchtern erklären Müttern die Welt“, frei übertragbar auf Söhne und Väter sowie Nicht-Eltern. Wichtig ist nur, dass wir den Jüngeren zuhören und die umgekehrt uns. In diesem Fall hat es mich gefreut, wie bunt gemischt die Gäste waren, die sich vorgestern Abend bei uns im Kapitänshaus einfanden.

Roma begann mit einer kurzen Schilderung des historischen Kontextes, in dem das Werk entstand. Krieg überall in Europa. Spanien verbündet mit dem Pabst gegen Frankreich, Frankreich gegen Italien, das zerfallen war in Kleinstaaten und verfeindete Fürstentümer. Ein politisches Kuddelmuddel, in dem jeder nach der Macht und dem Besitz des anderen trachtete. Mit einem Bein befinden wir uns noch im Mittelalter, mit dem anderen in der Neuzeit und Renaissance. Hat sich Niccolò Machiavelli mit seinen schriftstellerischen Beobachten gar dem jungen Lorenzo de Medici, dem Löwen, als Fuchs empfehlen wollen?

Wenige Wochen zuvor hatten wir uns unter dem Stichwort „Töchter erklären Müttern“ über Hannah Arendt und den zivilen Ungehorsam unterhalten. Ein Menschenbild begegnet uns, in dem das Individum per se gut ist und durchaus in der Lage, in Recht und Unrecht zu unterscheiden. Als sein eigener moralischer Gesetzgeber ist jeder zum politischen Handeln verpflichtet. „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen …“, wie es nun auf unseren T-Shirts steht.

Vehement hätte Machiavalli darüber den Kopf geschüttelt. Nein, nein, so funktioniert es nicht, „weil die Menschen schlecht sind“, sie sind „undankbar, wankelmütig, unaufrichtig, heuchlerisch, furchtsam und habgierig“, vor allem, wenn sie selbst in Not geraten (aus „Der Fürst“, Kap. 17).

Unter uns gibt es nicht wenige, die lebhaft beipflichten. Gemäß Machiavelli muss sich der Fürst aller (!) Machtinstrumente bedienen, um für Stabilität nach innen und außen zu sorgen. Es ist sogar besser, dass sie ihn fürchten, als dass sie ihn lieben. Roma fasst es zusammen: Das Streben des Regenten hat nicht zum Ziel, in den Himmel zu kommen. Vielmehr soll er seinen Job auf Erden anständig erfüllen. Aber was heißt „anständig“?, frage ich nach, „worum geht es in erster Linie? Um „Friede und Ordnung“, ihre Antwortet. Dafür heiligt der Zweck die Mittel. Der Fürst darf grausam sein, darf lügen, wenn es notwendig ist, nur eines soll er nicht, den Hass seiner Untertanen wecken. Er muss die Wölfe im Zaume halten und das Aufbegehren der Schafe verhindern.

Er wäre hier, um zu erfahren, wie man Machiavelli auf unser Heute übertragen kann, meinte ein Herr, der bestens historisch informiert zwischen uns saß. Überhaupt, schien es schon nach wenigen Minuten, als würde sich hier vertrauensvoll eine Gemeinschaft formieren, der es nicht egal ist, wie es um unsere Welt steht. Zustimmung und Widerspruch wechselten sich bei einem gepflegten „Du“.

Ist Trump ein machiavellischer Fürst? – Nein!! Das Aburteil kommt sofort von verschiedener Seite. Er ist kindisch in seinem Verhalten, besitzt keine Strategien und nicht den Respekt seiner Widersacher. Ganz anders bei Putin, zu dessen Spielball er geworden ist. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, Machiavelli nur auf die Autokraten zu übertragen. Wichtig ist bei dem Fürsten der Machterhalt zum Wohle des Volkes. Angela Merkel wurde oftmals als moderne machiavellische Kanzlerin beschrieben, deren politisches Handeln von einer berechnenden verantwortungsvollen Vorausschau bestimmt war. Allerdings hätte Machiavelli viel früher vor einer russischen Aggression gewarnt. „Wer den Frieden stört, der mache sich auf den Krieg gefasst!“, so der große politische Philosoph.

„Aber was machen wir jetzt?“ frage ich etwas hilflos in die Zukunft gerichtet meine Tochter. Sie hält einen Moment inne und antwortet dann selbstbewusst: „Wir suchen nach dem richtigen Fürsten!“ – Oder nach einem Fürsten-Team, wie eine Freundin einwirft. „Können wir Hannah Arendt und Machiavelli nicht miteinander verknüpfen“, möchte ich wissen. Nun wird es wirklich munter in der Runde. Wie kann das gehen? Gemeinsam sehen wir die Notwendigkeit für breite Bildung und Wissen, den Austausch im freien Denken (da wären wir bei Hannah Arendt) … um dann die richtige Fürst*innen-Konstellation zu wählen, der wir unsere Macht übergeben für Friede und Sicherheit.

Ihr könnt Euch vorstellen, wie die Diskussionen noch lange hin-und-her gingen, bei einem und mehreren Glas Wein und Romas Antipasti-Variationen. So liebe ich es, das macht für mich den Salon-Gedanken aus. Dank an meine Tochter, dass sie dafür die intellektuellen Anstöße und die kulinarischen Köstlichkeiten geliefert hat.

Mit den nächsten Einkäufen gibt es die Reclam-Ausgabe des „Fürsten“ von Machiavelli geschenkt. (Oder sollte es gar die Ausgabe „Machiavelli für Frauen sein“?