6:00! Bahnhof Altona am Ticketschalter für die Nordostseebahn nach Sylt. Koffer und Hund an meiner Seite. Was fehlt: die Brille. 3,25 – weitsichtig. Die visuelle Erinnerung sagt: Brille liegt neben dem Bett auf dem Bücherstapel. Gut, da liegt sie richtig. Ich, die Blindschleiche (Anguis Fragilis), wünschte mir, ich könnte wie eine Chefsekretärin die deutschkorrekten Tasten treffen. Es gab Zeiten, da waren meine Augen Adlergleich. Jetzt ohne Sehhilfe könnte ich nicht einmal im Supermarkt den Einkauf erledigen. Mist! – Konsequent verneine ich den physischen Alterungsprozess. Nur hier spielen mir die fortschreitenden Jahrzehnte einen Strich durch die Rechnung. Ich brauche nicht nur die vergessene Brille neben dem Bett, ich brauche neue Gläser, wie der Optiker gerade feststellte. Vielleicht soll ich es Iris Apfel (95), Interieur Designerin und New Yorker Stilikone gleichtun und mir solch eine Monsterbrille besorgen, damit jeder weiß: Die Frau ist ewig jung, nur mit der Optik hapert es ein wenig. Farbe: fluoreszierend, neon-rot, damit ich sie jederzeit finde.

iris Apfel

Iris Apfel wurde am 21. August 1921 in New York geboren. Gründete 1950 die Textilfirma Old World Weavers, war Inneneinrichterin von neun Präsidenten im Weißen Haus in Washington. 2005 veranstaltete das Metropolitan Museum in New York eine Retrospektive ihre Styles: „The irreverent Iris Apfel“. Sie ist Testmonial und Model in Anzeigenkampagnen für Highglossy Magazines.

PS: Soeben habe ich mir die Lesebrille einer Mitreisenden ausgeliehen und muss feststellen: Weniger Schreibfehler ohne Brille als mit Brille. Was soll das nun wieder heißen? Ist blindes Fabulieren besser als scharf-sehendes Notieren? – Übrigens ist die Blindschleiche nicht blind, wie der Name vermuten ließe, sondern aus dem Althochdeutschen kommend, bedeutet es eher so viel wie „blendend“ und bezieht sich auf die glänzend-schuppige Haut. Nun ja, da erlaube ich mir mal keine Querverbindungen.