Wer weiß, wie lange es sie noch gibt, die Schwimmenden Inseln im Titicacasee und ihre Menschen darauf. Ich bin sehr glücklich, dass auch diese Station auf meiner Reise für mich organisiert wurde. Ich gebe Euch die Eckdaten, mit denen ich mich morgens versorgt habe, bevor Max mit seinem Auto vor der Tür steht, um mich am Hafen von Puno abzusetzen. Hinter uns liegt mein Hotel, das beinahe auch wie auf einer schwimmenden Insel scheint.

Der Titicacasee liegt auf einer Höhe von ca. 3.800 Metern, ist ungefähr 15,5 mal so groß wie der Bodensee, fast so groß wie Korsika und ist der höchstgelegene schiffbare See der Welt.

Ein Teil davon gehört zu Bolivien, der andere zu Peru, eine Grenze, die auf den Landkarten verzeichnet ist, ansonsten unbewacht verläuft. Ob hier der Ursprung der Bevölkerung Lateinamerikas liegt, und das sagenhafte El Dorado versunken ist? Beides konnte bislang noch nicht bewiesen werden. Aber der berühmte Meeresbiologie Jacques Cousteau fand heraus, das die untersten Schichten des Sees aus Salzwasser bestehen, daher einst mit dem Pazifischen Ozean verbunden sein mussten, bevor die Eiszeit die Berge schuf und mit ihr den Titicacasee gen Himmel hob. So fühlt es sich auch an, den Wolken ganz nah.

Das Volk der Urus, die wir besuchen werden, lebt ganz in der Nähe von Puno in den flachen Gewässern, die an das Totora Schilf angrenzen. Mittlerweile schätzt man nur noch 1.500 Nachfahren, die hier verstreut auf den knapp über einhundert Schimmenden Inseln leben. Unser Boot drosselt seine Fahrt, wie landen an auf diesem schwimmenden Schilfkonstrukt mit seinen 25 Familienmitgliedern.

Die Urus sprechen Aymara (und Spanisch). Das Oberhaupt dieser Familie erklärt uns, wie sie ihre Inseln bauen. Als erstes schneiden sie riesige Quarder von Schilfwurzeln, die so viel Sauerstoff in sich tragen, dass sie ideale Schwimmkörper sind. Diese werden wieder miteinander verbunden und bilden die Basis für die Insel.

Anschließend werden Lagen von Schilf darüber gestapelt, ein Vorgang, der regelmäßig wiederholt werden muss, da das Schilf Wasser saugt. Am Ende wird das Zuhause mit langen Eukalyptuspfählen am Grund des Sees verankert. Drohten früher feindliche Angriffe, so zog man die Pflöcke heraus und ließ die Insel auf den See hinaustreiben.

In der Ferne leuchtet ein rotes Dach. Es ist die Schule, ein Lehrer für die ganze Uru Community. Aber sie haben Internet, die digitale Welt hat selbst hier Eingang erhalten. Ansonsten ist das Leben karg, geprägt vom Fischfang, Handwerk und … mittlerweile den Touristen, die in Rotation die Inseln für ein-zwei Stunden besuchen. Die Frauen und Männer bieten ihre bestickten und gebastelten Waren an.

Ich folge den Ausführungen von William, versuche den Klang der Aymara-Sprache zu verinnerlichen, die kein Abschied kennt, da man sich wiedersieht in einem der vielen Leben. Mit ihrem Willkommensgruß bezeichnen sie uns als “Freunde”. Irgendwann in naher Zukunft wird ihre Kultur verschwinden, denn die Jungen streben fort in die Stadt.

In kleinen Gruppen besteigen wir ihre Boote aus Schilf und Bananenblättern. Was für ein Licht, das die Farben leuchten lässt und alles andere in ein sanftes, dunstiges Blau hüllt. Stumm drückt der junge Mann seinen Eukalypthus Stab in den Grund, wie ein Gondolere in Vendig und doch ganz anders. Es umgibt ihn eine Ruhe, verschmolzen mit der Natur.

Ich mag auch nicht sprechen oder Fragen stellen. Es erklärt sich alles aus sich selbst heraus. Keine Sorge, ich schreib nicht wieder “magisch”, aber lasst mich “mystisch” an dieser Stelle verwenden. Ja, das trifft es.

Ungefähr 25 Jahre hält eine Insel, dann hat sie sich soweit mit Wasser vollgesogen, dass sie nicht mehr schwimmen kann. Ein Jahr dauert es, bis eine neue Plattform gebaut ist. Diese ist 21 Jahr alt. Ob sie eine nächste Insel für ihr Häuser bauen werden?

Wo werden in zwanzig Jahren die Kinder sein, die um uns herum spielen oder noch geboren werden? Wahrscheinlich wird sich für sie die jahrhundertalte Lebensform ihrer Vorfahren drastisch verändert haben. Bei allem Singsang, das uns begleitet, liegt doch eine Wehmut über allem. Die Alten sind unterwegs auf Fischfang, sie werden erst zurückkehren, wenn wir weit genug entfernt sind.

Ich stehe oben am Deck, wir winken uns zu. Wie heißt es im Geschichtenerzähler von Mario Vargas Llosa: Wir weißen Menschen sind zu viele und zu aggressiv. Wie kann sich eine kleine Gemeinschaft auf ihrem schwimmenden Micro-Kosmos dagegen wehren? Es wird nicht mehr gelinge wie früher den Eukalyptus-Pfock herauszuziehen und davonzutreiben.