Zwischen Tourismus-Wahnsinn und atemberaubenden Momenten. Irgendwie so hätte auch die Überschrift lauten können. Ollantaytambo Bahnstation. 5:45 Uhr, ich muss nur aus der Tür meines Hotels treten und stehe schon am Gleis. Altmodisch schick und poliert wartet der Machu Picchu Train, ein kleinen Tritt vor jeder Wagon-Tür, die Schaffnerin in hübscher Uniform. Bahnfahren mit dem leichten Herzklopfen, dass es eine besondere Reise werden könnte.

Die Fahrt geht gut eine Stunde durch die Berge, schlängelt sich durch das schmale Tal des Urubamba Flusses, mehr als 1000 Meter hinab nach Machu Picchu Town. Eine wunderschöne Landschaft, dessen Vegetation immer grüner und tropischer wird.

Am Ende wartet schon eine junge Frau, ein Schild mit meinem Namen in der Hand. Ich folge ihr, die Verständigung ist schwierig, nur soviel ist klar, wir müssen als erstes sehen, dass ich für morgen ein Ticket für Macchu Picchu ergattere. Glück, nur zwei vor mir. Ich kann wählen: 6:00 Uhr Einlass, 8:00 Uhr oder später. Route 1, 2 oder 3. Keine Ahnung. Instinktiv nehme ich die “Frühschicht” und Nummer 2. Dann liefert sie mich im Hotel ab. Der Tag ist zur freien Verfügung.

Aber was macht man in diesem Kaff, das scheinbar nur aus Souvenir Geschäften besteht? Die Gassen so breit, dass man im Spagat von Häuserwand zu Häuserwand reicht. Rucksack-Touristen überall, viele junge Leute. Mein Zimmer ist erst in vier Stunden fertig. O.k., gibt Schlimmeres, ich schreibe meinen Blog und unterhalte mich fiktiv mit Euch.

Eine kurze Wanderung zu den Kaskaden, die heißen Badequellen erspare ich mir, als ich von oben in die septische Brühe schaue. Es regnet in Strömen und dann wieder Sonne. Also bleibe ich in meinem riesigen dunklen Zimmer wie in einer Höhle mit einem geschmierten Brot und angetrockneten Käse von vorgestern sowie ein paar Nüssen. Innere Klausur für Machu Picchu.

Um kurz nach 5:00 Uhr holt mich Victor ab. Freundlich lächelnd erzählt er mir, dass er schon seit 15 Jahren hier Guide ist und nicht weg will. Machu Picchu besitzt eine besondere Energie, meint er, ich werde es gleich erfahren. Mit dem Bus geht es in Serpentinen hoch, nichts für Leute mit schwachen Nerven, steil und ungesichert die holperige Piste. Die Inkas hatten, als sie den Ort aufgaben, alle Wege vernichtet. Und so schlummerten die Mauern von Vegetation überwuchert ihren Dornröschenschlaf, bis sie 1911 von Hiram Bingham und einer Yale University Expedition entdeckt wurden.

Victor führt mich eilig an der kleinen Schlange der Frühschicht vorbei, und dann sind wir wirklich die Ersten, die einen Blick auf Machu Picchu mit der aufgehenden Sonnen werfen dürfen.

Ganz still liegt es da, eingebettet zwischen den Bergen, Knotenpunkt der vier Himmelsrichtungen, Zentrum von geologischen Energiefeldern. Die Stadt der Inkas, in der einst bis zu 1.000 Menschen lebten.

Gestern hatte ich noch gegrollt, warum der Aufwand, warum Machu Picchu? Ist doch wie die Madonna von Leonard da Vinci im Louvre, die man sich mit einer gedrängten Besuchermenge teilen muss. Ich hätte am liebsten verzichtet. Aber (!), dieses Erlebnis muss man in echt sehen, spüren, innehalten, um es unvergesslich zu machen.

Alles ist wie ein Geschenk, der Ausblick, die Sonne, wie sie einen wärmt, während wir ein wenig ausruhen, die Terrassen und Stufen hoch und runter steigen. Kein Laut dringt zu uns, nur Vogelgezwitscher. Ich verstehe Victor, warum er bleiben möchte, um morgens um 6:00 Uhr hier oben zu sein.

Der Inka König Pachacútec Yupanqui soll um 1450 den Bau der Stadt in Auftrag gegeben haben, um hier den Sonnengott Inti zu huldigen. Alles ist streng mathematisch nach den Himmelsrichtungen, den Sternen und der Sonne ausgerichten. Zur Wintersonnenwende scheint sie direkt zwischen den Bergen hindurch auf den Tempel.

Die wichtigen Türen öffnen sich exakt von Norden nach Süden. Ein für mich zunächst unbedeutender Stein zeigt auf die Sterne. Wohin ich blicke, fühle ich mich umhüllt, die schneebedeckten Berge im Westen, die kleinen Wölkchen über dem dunklen Grün zur anderen Seite. Dem Himmel sehr nah. “Das Wissen ist wichtiger als das Gold”, Ihr erinnert Euch an diesen Satz vom letzten Beitrag. Und so besitzt alles seine kosmische Kenntnis und Symbolik.

Foto von 1911. Bauern ließen hier oben ihr Vieh weiden, bevor es als Inka Stätte wiederentdeckt wurde.

Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem durchläuft die Stadt und die Terrassen bis hinunter in das Tal des Urubamba Flusses. Täglich mussten die Arbeiter und Bauern der Inkas die engen Pfade von unten nach oben steigen, die Terrassen beackern, das Vieh betreuen, die Nahrung liefern für die Bewohner.

In der Mitte der Ruinenstadt liegt ein breites Feld wie eine Arena, ein Marktplatz mit einer betörenden Akustik. Wir rufen, und es hallt zurück. Dann wieder Stille, noch sind wir allein. Victor zeigt mir immer wieder Ausblicke, wie Natur und Architektur zusammenwirken, sich alles fügt, damit es auch hier den Erdstößen und Wettern standhalten kann.

Weiter geht es durch die Gassen, in denen ich mir das frühere Treiben vorstelle. Mit Sicherheit wäre ich an einer Konstellation aus Felsen und Mauerwerk vorbeigelaufen. Es zeigt den Kondor, Symbol für die ewige Welt der Götter. Oben barte man die Toten auf, damit ihr Geist die Reise antreten konnte. Wieder bleiben wir ein wenig sitzen. Machu Picchu ist kein Ort mit dem Reiseführer in der Hand. Es braucht die Sinne, um ihn atmen zu können.

Ich bleibe noch ein wenig in der Sonne, lehne mich an die warme Steinmauer. Victor verabschiedet sich und zeigt mir am Ende das umgedrehte Bild der Anlage. Es ist wieder der Kondor, wie er sich scheinbar mit seinen breiten Flügeln erhebt zwischen den Bergen in die Lüfte.

Unsortiert lasse ich meine Gedanken fließen und genieße den Moment. Gegenüber füllen sich langsam mit Terrassen mit den Touristen. Nun wird es auch für mich langsam Zeit aufzubrechen. Jeder Ausblick will noch einmal genossen werden, bevor die 4.000 Besucher*innen an der Reihe sind.

Ob ich wiederkomme? Wer weiß, und wenn ja, dann möchte ich auf den Berg gegenüber klettern, die Tour Nummer 3 wählen. Und wenn nicht, dann war es das, wovon alle sprechen: An experience for a life time.

Als ich in den Bus steige, fühle ich mich, als käme ich aus einer anderen Welt, einer magischen Welt, in der die Realitäten nicht gelten. Schwierig, es in Worte zu fassen. Ihr müsst einfach herkommen.