“Das Wissen ist wichtiger als das Gold”, sollen sie gesagt, die Inkas, deren Reich in ihrer Hochzeit von Ecuador, Peru, bis nach Chile und Argentinen ging, eine Distanz wie vom Nordkap bis nach Sizilien. Ihre Herrschaft dauerte von 13. – 16. Jahrhundert, doch man spricht hauptsächlich von den letzten hundert Jahren. Ihre Kultur gibt bis heute Rätsel auf, denn es fehlen die (entschlüsselten) schriftlichen Zeugnisse. Ich gestehe, dass ich mich vor diesem Beitrag ein wenig drücken wollte. Wie soll ich alles an Geschichte zusammenfassen, was sich hinter den Mauern und komplexen Anlagen versteckt?

Für uns Durchschnitts-Europäer ist Peru = Inka = Machu Picchus. Eine einfache Gleichung, das war’s. Ähnlich schlicht fragen die Peruaner: “First time in Peru?” Ich nicke freundlich. “Go Machu Picchu?” kommt es in gebrochenem Englisch promt drauf, nur mit den Unterschied, dass sie den Namen richtig aussprechen: “Maschu Pikschu”. Wieder ein Nicken, und dann wollen sie nur noch wissen, was ich alles schon gegessen habe.

4.000 Besucher am Tag. 10.000 in der Hauptzeit. Machu Picchu steht seit 1983 auf der Liste des Unesco Weltkulturerbes, zählt zu den sieben neuen Weltwundern … und ächzt unter seiner Berühmtheit. Meine drei Tage Reise ist eine Annäherung. Ich öffne einfach meine Sinne für die vielfältigen Eindrücke an den Inka Stätten im Heiligen Tal (Sacred Valley), das sich durch die Berge und Täler von Cusco aus bis hin zu diesem sagenhaften Machu Picchu schlängelt. Drei verschiedene Guides werden mich abwechselnd begleiten, Paul, Maritzia und Victor.

Unsere erste Station ist Chinchero, dort wo auch die Weberinnen sind, ich hatte berichtet. Wir befinden uns auf 3.760m Höhe. Es geht mir gut, einzig ein wenig Husten und Nasenbluten. Mit Paul steige ich die engen Gassen hoch, links und rechts die Souvenir-Lädchen mit ihren buntgekleideten Wegelagerern. Lächelnd wird meine rote Pollera kommentiert. Sie scheint mich zu schützen, wo sonst die Touristen bedrängt werden. Alle möchten mit mir ein Foto machen, selbst der Typ, der in den öffentlichen Baños (Toiletten) kassiert.


Chinchero galt als der Sommersitz der Inkas. Der 10. Herrscher, Túpac Yupanqui, soll sich hier besonders gern aufgehalten haben. Konzentriert höre ich zu, aber die Informationen rauschen vorbei, die Namen habe ich sofort vergessen. Paul verdreht die Laute derart schräg in seinem ambitionierten Englisch, als wäre es eine akustische Übertragung der mysteriösen Knotenbänder der Inkas. “World” klingt bei ihm wie “War”, es fehlen ganze Silben. Nur die Quechua-Wörter spricht er fließend, es ist sein familiärer Hintergrund. Was hilft’s, ich muss wieder einmal mehr erspüren als verstehen, um die einstige Prachtanlage mit meiner Vorstellungskraft zu füllen.


Draußen die Inka-Mauern mit ihren riesigen Quadern, die ohne Zement in einer verblüffenden Präzision zusammenhalten, geschichtet in doppelten Reihen, was ein Zeichen für die Bedeutung des Baus ist. Problemlos überstanden sie die Eruptionen der Jahrhunderte. Nur die Spanier überstanden sie nicht, die mit Francisco Pizarro 1532 dem Inka Reich ein Ende bereiteten. Auf den alten Fundamenten und Mauern errichteten sie ihre eigenen Kirchen.


Was für eine Pracht im Inneren. Die weißen Eroberer bedienten sich maßlos aus dem Goldkammern der Inkas. Ich darf eigentlich nicht fotografieren, aber mit einer kleinen “Spende” erledigt sich auch das. Muster und Ornament, wohin man schaut. Es wird gespeichert für meine zukünftige Kollektion, nicht als Anti-Peru, sondern als koloniale Sprache mit ihren floralen Elementen. Ebenso Heritage.


Chinchero ist nicht nur Sightseeing, sondern auch eine Befragung von Eroberungen, von christlicher Übernahme, fehlendem Respekt für eine andere Kultur. Es hätte eine friedlichen Koexistenz sein können. Am Eingang der Kirche links ist Petrus mit dem Schlüssel zu sehen und rechts davon eine kriegerische Szene zwischen Spaniern und Inkas, der Kampf zwischen Puma und Drachen. Für was er wohl symbolisch stehen mag? In meiner Fantasie erzählt es sich von allein, was ich überhört haben mag.


Weiter geht es durch das Heilige Tal nach Ollantaytambo. Ich kann den Namen immer noch nicht verlässlich aussprechen. Während der Fahrt erzählt Paul, weil es sein Job ist, und ich bin ein wenig genervt, dass sein Englisch nicht zu verstehen ist. Insgeheim unterstelle ich Macho-Gehabe, da er die sympathische Maritza vorne im Auto komplett ignoriert.

Vielleicht hätte ich sonst die Geschichte von der Königstochter kapiert, die sich in einen Soldaten verliebte, etwas, das nicht sein durfte. (Später in Lima, werde ich dazu eine Oper-Aufführung sehen.) Es gab strenge Regeln, der Inka-König heiratete seine Schwester. Inzest war gang und gebe. Ich verstehe nur Bruchstücke, die ich zu einem Mosaik kombiniere. Rituale in Quechua-Sprache, Pachamana, die Göttin der Erde, Mamacocha, die Göttin des Wasser, Inti, der Sonnengott, und Wiraqucha, der Schöpfergott. Ihnen allen wird hier gehuldigt.

Ollantaytambo ist die einzig erhaltene Inka Stadt, an der man die gesamte Planung des sozialen Miteinanders erkennen kann. Wieder ein Ring von Touri-Läden rundherum. Erst als wir ihn durchquert haben, öffnet sich der Blick auf diese gewaltige Anlage, und Paul neben mir verwandelt sich zu einem jungen Mann, der diese Kraft fühlt.


Anders als zuvor sind wir nun “Freunde”, die hintereinander die steilen Treppen und Terrassen hochgehen. Mühsam in der dünnen Luft der Höhe. Er bleibt stehen, erklärt mir die Vorratskammern auf der anderen Seite des Berges, die Gesichter, die in die Felsen gehämmert wurden und woher die Steine für die Häuser und Tempel kamen. Halterungen und wieder Muster-Symbole. Es waren keine Außerirdischen, die am Werk waren, sondern viele Tausend Menschen. Wissenschaftler konnte es durch Experimente beweisen.

Zur Sonnenwende im Dezember fällt das Licht durch die Berge genau auf die Öffnung des Tempels hinter mir. Ob ich die Energie von Ollantaytambo spüren würde, fragt er mich. Ja, ich kann sie spüren. Eine unwahrscheinliche Spiritualität, als würde sie uns anheben und die vergangenen sechshundert Jahre zu einer zeitlosen Ewigkeit machen. Wir bleiben stehen, schweigend, vergessen all die Daten und Fakten. Kann man alles später nachlesen.

Geschickt wussten sie das Wasser von den Bergen zu nutzen, über schmale steinerne Kanäle konnten die Terrassen bewässert werden, bis hinunter zu den Bädern. Es funktioniert bis heute.

Es ist beeindruckend und groß, was um uns herum geschaffen und wenig später wieder aufgegeben wurde. Innere Zwiste, Bürgerkrieg, Stammesrivalitäten und der Kampf mit den Spaniern, obwohl es ungewiss ist, ob letztere überhaupt bis hierher kamen. Die Bewohner verließen auf jeden Fall schon nach kurzer Zeit Ollantaytambo und nahmen ihr Wissen mit hinab in das tiefer gelegene Tal Richtung Machu Picchu und weiter in den Dschungel des Amazons.

Als wir wieder am Auto angelangt sind, nehmen wir uns in den Arm. “Good-bye, my friend”, sagt er zum Abschied und nimmt einen der klapprigen Busse zurück nach Cusco.

Maritzia bringt mich zum Hotel, es liegt direkt am Bahnsteig von Olliantaytambo, wo der Zug am nächsten Tag früh um 6:00 Uhr nach Machu Picchu abfährt. Irre! Eine Empfehlung, ich schlafe wie ein Stein.


Und morgen erzähle ich von Machu Picchu, und wie es gelingt, dort als erste morgens früh zu sein, vor allen anderen Touristen, um die Sonne aufgehen zu sehen an diesem magischen Ort.
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