Gestern war mal wieder so ein Moment, wie ich ihn liebe und wofür ich das ganze Unternehmen MILCHSTRASSE 11 gestartet bin: Dr. Karen Michels hielt ihren Vortrag über das Ehepaar Henry und Emma Budge. Die promovierte und habilitierte Kunsthistorikerin mit ausgeprägtem Talent für kulturelle Zusammenhänge nahm uns mit auf die Reise von zwei Menschen, die ihr Glück suchten, im Geldverdienen, im verschwenderischen Großbürgertum, im karitativen Handeln über Konfessionen hinaus und im Sammeln von Kunst und Antiquitäten. Henry, 1840 geboren, stammte aus einer jüdischen Familie in Frankfurt. Er zog nach New York, blieb dort jedoch zunächst mit seinen Unternehmungen erfolglos, bis er Mitte dreißig war, dann scheffelt er mit Beteiligungen am Eisenbahn-Geschäft ein Vermögen. Fehlte noch die Frau an seiner Seite. Emma, ebenfalls jüdisch, kam aus Hamburg und suchte, was sonst, sie hatte ja keinen Beruf, einen Ehemann, da war sie immerhin auch schon 27, alt für damalige Verhältnisse.

Witzig und lapidar schildert Michels den ersten Teil des Lebens dieser beiden Persönlichkeiten, die zunächst als Paar in New York am Central Park lebten, bis es sie nach Hamburg an die Alster zog. Für jährlich enorme Summen renovierten sie mit dem Architekten Martin Haller (1835 – 1925) über mindestens 10 Jahre lang das Palais neben uns, in dem sich heute die Hochschule für Musik und Theater befindet.

30 Zimmer waren zu wenig, 45 sollten es mindestens sein, mit neuestem amerikanischen Standard von Heizung, Sanitär und elektrischem Licht. Zum Geburtstag erhielt Emma von ihrem Mann den Musiksaal geschenkt, in dem u.a. auch Caruso auftrat. Die Gärten gingen bis hinunter an die Alster und waren Steckenpferd von Henry.

Das Geld schien endlos und wurde entsprechend ausgegeben. Emma entdeckte für sich die Sammelleidenschaft und zusammen mit Justus Brinckmann (1843 – 1915), dem ersten Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, kaufte sie an, was das junge Museum sich nicht leisten konnte, Schwerpunkt Porzellan. Später einmal wollte das kinderlose Paar alles der Stadt Hamburg vermachen.

Henry Budge starb 1927. Ihm wurde damit vieles erspart, was Emma in den folgenden Jahren erleiden musste. Die amerikanische Staatsbürgerschaft schützte die Jüdin, aber sie blieb vor täglichen Anfeindungen nicht gefeit. Ab 1933 änderte sie das Testament, vermachte alles den Nichten und Neffen sowie dem Amerikanischen Staat. Sie holte Verwandte aus Frankfurt in ihr Haus, weil sie glaubte, sie so beschützen zu können. Als 1938, ein Jahr nach ihrem Tod, ihre Sammlungen versteigert wurden, beschlagnahmten die Nazis den Erlös, setzten die Familie massiv unter Druck, damit sie den Verzicht unterzeichneten. Deportationen und Vernichtung im KZ. Die Erzählungen von Karen Michels werden bedrückend. Immer wieder geht ihr Blick von uns hinüber zur anderen Straßenseite: All diese Grausamkeiten sind mit dem Gebäude dort drüben verbunden. Man kann nicht das eine sehen ohne das andere zu denken.

Erst spät, unter dem Bürgermeister Klaus von Dohnany wird die Familie in den USA entschädigt. Ein verschlepptes, düsteres Kapital der Restitution, das immer noch nicht abgeschlossen ist. Wie hätte alles anders sein können: ein großes Haus, eine unschätzbare Sammlung – Hamburg hätte sein kleines Grünes Gewölbe erhalten, ein eigenes Porzellan-Museum an der Alster. Geschenkt von zwei jüdischen Mitbürgern, die sich der Stadt kulturell auf’s Engste verbunden fühlten. Daran muss man sich ebenfalls erinnern, wenn man von unserem Eingang über die Straße schaut …

Freuen wir uns auf das Buch von Karen Michels über die Budges, das im nächsten Jahr erscheinen soll.