Der Regen ist vorbei hier auf der Insel. Alles duftet und leuchtet, wie frisch geputzt. Tau hängt noch an den Gräsern und in den feinen Spinnenweben auf der Wiese. Ich gehe spazieren mit Mary, Mary Shelly, die Frankenstein schrieb in dem Sommer, in dem es keine Sonne gab, 1816. Ein Vulkan in Indonesien, der Tambora, war ein Jahr zuvor ausgebrochen. Hoch hatte er das heiße Magma in die Atmosphäre geschleudert, dass es sich mit den Winden um den Globus ausbreiten konnte. Der Himmel verdüsterte sich und veränderte das Klima.
Ich habe mich besonders angezogen heute früh, so als würde ich in eine andere Zeit hineinschlüpfen, der weich-fallende Seidenrock von Yves Saint Laurent aus den siebziger Jahren, dazu der Gürtel. Eng schnürt er sich um die Taille wie eine Korsage.
Yves Saint Laurent: Vintage Bluse (€ 700), Seiden-Rock (€ 1.000), Gürtel (€ 600)
Dazu die gestreifte Seidenbluse, ebenfalls von dem französischen Designer, den ich so sehr schätze. Die Lampione-Stola komplettiert den Look, der mich weit hinweg trägt an die Schauplätze zwischen London, Genf, Berlin, Dresden und Weimar sowie St. Helena, in diesem grausigen Anno 1816, das mehr Opfer forderte als beide Weltkriege zusammen.
Yves Saint Laurent Armspange (€ 800)
„Die Welt war porös, jede Sekunde wandelbar“, notiert Timo Feldhaus, der dieses bemerkenswerte Buch über Mary Shelly und ihre Zeit geschrieben hat. Bemerkenswert, weil er wichtige Persönlichkeiten um das Klima-Phänomen gruppiert, als wären sie miteinander vernetzt: Goethe in Weimar, Caspar David Friedrich in Dresden, der scheiternde Napoleon und immer wieder Mary Shelly, ihren Geliebten Percy Shelly, ihre Halbschwester Claire, Lord Byron und seinen Leibarzt John Polidori.
„Der endlose Regen verbreiterte die Flüsse, Wasser trat über ihre Ufer und bildete neue Ströme und bald Sturzfluten, die besonderes in Süddeutschland ganze Täler umspülten. Niemand verstand, wo das viele Wasser herkam.“ (Seite 202)
Die historische Beschreibung ähnelt dem Bericht aus Süddeutschen Zeitung von gestern, in dem das Unwetter in Bayern angekündigt wird: „Niederschlag mit bis zu 60 Litern pro Quadratmeter in wenigen Stunden und Böen mit bis zu 70 Stundenkilometern…“
Mit dem Regen vor zweihundert Jahren kamen die Missernten und Hungersnöte, Epidemien und Unruhen. Und das alles nur, weil am anderen Ende der Welt ein Vulkan ausgebrochen war. Wie fragil unser System ist. Die Intellektuellen der Zeit grübelten, die Zusammenhänge konnten sie jedoch nicht erklären. Victor Hugo meinte gar, wenn es bei Waterloo nicht geregnet hätte, hätte Napoleon gesiegt und die Historie einen anderen Verlauf genommen.
„Alles muss einen Anfang haben, um es mit den Worten Sancho Pansas auszudrücken; und jener Anfang, schrieb Mary Godwin (Shelly) später, muss mit etwas verbunden sein, das zuvor geschehen ist.“ (Seite 39) Caspar David Friedrich malte seine Wolkenbilder, damit sie sich in die Unendlichkeit ausdehnen konnten.
„Wir müssen den dunkelsten Punkt finden, dort ist ein Neubeginn“, so Mary Shelly. Und wieder ging ein Unwetter über ihre Villa am Genfer See hinweg. Wer schreibt die gruseligste Geschichte? Jeder zog sich auf sein Zimmer zurück. Lord Byron und Percy Shelly hatten die Wette schnell vergessen, aber Mary erfand ihr von Menschen geschaffenes Monster, und der schreibende Leibarzt schuf die Untoten und nannte sie „Vampire“.
Mary Shellys Zimmer, 2022 im Rowohlt Verlag erschienen, erhält etwas Metaphorisches, in dem sich Weltgeschehen, Fantasie, Kunst und Klimawandel zu etwas verbinden, was zugleich faszinierend und gefährlich anmutet. Etwas stimmt nicht mehr und gefährdet die bisherige Ordnung.
Mit diesen Worten entlässt mich dieser kluge und sensible Autor, damit ich weiter durch den taufrischen Morgen schreite, mit meinen Gedanken, die sich für das Leben entschieden haben. Genauso wie es Mary Shelly am Ende gesagt haben könnte. Wer weiß es schon. Fiktion und Realität verweben sich lustvoll auf der gleichen Ebene.
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