Um 4:41 Uhr begann heute der Sommer hier oben im Norden. Guten Morgen leeres Blatt Papier, was soll ich schreiben? Über meine liebste Jahreszeit? Präziser gesagt, die erste Hälfte des Sommers, wenn alles duftet und strotzt vor Farben, wenn das Leben plötzlich leicht erscheint auf der Insel? Meerumspült wird sie zu einem Sehnsuchtsort, an dem die Sonne nicht untergeht, der kühle Wind über die Wangen streichelt und man den Pullover braucht.

Iris von Arnim Pullover, Cashmere Secondhand (€ 300)

16°C Wassertemperatur und knapp über 20°C die Luft. So lässt es sich aushalten, und ich bin gespannt, wann die ersten Klimaflüchtlinge aus dem Süden zu uns kommen. Der Blick geht weit, nicht nur in die blaue Ferne, sondern leise und nachdenklich wer schon weiß wohin.

Das Fenster steht ein wenig offen, damit sich Innen und Außen miteinander verbinden. Mein Schreibtisch wirkt mir wie ein Zwischenbereich, wie eine Schwelle, die mich aus der Nacht in den Morgen geleitet. (Ich sollte endlich mal Walter Benjamins Passagen-Werke lesen.) Also, was soll ich schreiben, leeres Blatt Papier? Die Tagesnachrichten habe ich schon gelesen, die erste Tasse Kaffee getrunken.

Ich denke an die liebste Freundin, die gehen wird mit dem ersten Sommer. Vielleicht sogar heute an dem längsten Tag im Jahr, an dem die Natur das Licht und die Fülle bejubelt. Es würde zu ihr passen. Sie nähme dieses zärtlich-berauschende Gefühl mit auf ihre Reise ins Unbekannte, die bunten Wiesen über dem Wattenmeer, die Stille und das Kreischen der Möwen, die Muscheln am Strand, die Juni Rose, wie sie auf ihrem langen Stengel im Wind balanciert …

Dieser erste Tag im Sommer macht sogar das Traurigsein schön.