Es ist Lunch-Time, es ist ein Montag, der zweite im neuen Jahr, und es wird Zeit für einen weiteren Ritt durch die Kunst und das Leben. Wie anders könnte man dieses 2021 starten als mit dem Absurden. Es passt in eine Zeit, die wir so noch nicht erlebt haben, und so tun wir Dinge, die wir sonst nicht tun. Meine Verabredung: Karen Michels, habilitierte Kunsthistorikerin, Schnelldenkerin, Vielwissende mit übersprudelndem Witz.

Wir trinken Rotwein am Mittag (für andere normal, für uns Hellwachgeister nicht), wir öffnen die Fenster und schalten die Heizung auf Volldampf, und wir sitzen an einem Ort, der von sich aus schon absurd ist, dem Tempel von 1844 mit Blick auf die Apsis-Ruine.

René Magritte (1898 – 1967) war der „Anstifter“ für dieses Thema mit seinen Wolken, die dort nicht hingehören, mit seinen Fährten, die uns in die Irre leiten. Wie schrieb ich kürzlich in meinem Beitrag am Neujahrstag: das „Absurde“ ist etwas, das der Vernunft widerspricht.

Karen hat eines ihrer Lieblingsbücher mitgebracht noch aus ihrer Studienzeit, vielleicht ein wenig von den Mäusen angeknabbert, und vom Cover fehlt eine ganze Ecke, aber es steht hier schwarz auf weiß: „Die Wirklichkeit steht auf dem Spiel“ und weiter heißt es über Max Ernst, den Dada-Max, den Meister der Surrealisten: „Es gilt, mit der Wünschelrute in der Hand alle Interferenzpunkte der positiven und der magischen Welt zu belauern.“ Darauf ein Toast!

Das ist doch mal eine Aufgabe für den Tag! Belauern wir das Positive und Magische und seien wir komplett mit neuen Eindrücken beschäftigt. Schon jetzt können wir beide versprechen, es wird ein schöner Tag! Verschwunden sind Sätze wie: „Habe bei mir geklingelt und freu mich, dass ich da war.“ Soweit ist es schon, die Langeweile hat überhand genommen. Nicht bei uns, wir kommen gar nicht mehr aus dem Lachen heraus und das liegt nicht an dem einen Glas Rotwein, sondern an den Geschichten aus unserem Alltag.

Aber zurück zu René Magritte, der aussah wie ein Buchhalter und wohl auch so lebte. Mit dieser für einen damaligen Künstler ungewöhnlichen äußeren Spießigkeit konnte er den größtmöglichen Kontrast zu seinen Inhalten schaffen. Absurd!

Ohne uns abzusprechen, haben wir uns für heute auch einen Dress-Code überlegt, der unterschiedlicher sein nicht könnte. Karen in klassisch blau-weiß-beige: „Kleidungstechnisch bin ich die langweiligste Frau der Welt“, so sie über sich, dabei sprudelt es mit verwegensten Theorien und Gedanken aus ihr heraus.

Ich habe es dagegen mal wieder krachen lassen und weder bei Mustermix noch bei Farbvielfalt gespart. Bei mir ist es anders herum, ich bin die Spießerin in der Routine, Magritte wäre ebenfalls erfreut. Mein Tagesablauf folgt strengen Regeln, manche LeserInnen erinnern sich an den Busch, an dem ich jeden Morgen zur gleichen Zeit entlang gehe und Peng!

Abb: Hose Dries van Noten, Strümpfe aus Hollywood (vom Cousinchen geschenkt), Gürtel Ernst Haeckel, Waterscape Bluse, Prototyp Mohairblazer, Taglia Scarpe € 470

Karen lässt es eher laufen, schlittert in den Tag hinein mit Kaffee im Bett, obwohl ihr innere Stimmen immer gewinnen: Erst die Arbeit dann das Vergnügen. Wieder müssen wir lachen und denken dabei an unsere Erziehung, an das Aquarium im Wohnzimmer meiner Eltern, in dem so etwas Ähnliches wie Unterwasserhanf gezüchtet wurde.

Dazu René Magritte und der Surrealismus, der „jede ‚aktive‘ Kontrolle durch Vernunft, Moral oder ästhetische Erwägungen als inspirationswidrig entlarvte“, so steht es in dem kleinen Büchlein. Jawohl „inspirationswidrig“! Ich lasse mir das Wort genüsslich die Kehle hinuntergleiten, so wie das letzte Tröpfchen Wein aus meinen Glas. Das wird mein neues Lieblingswort zwischen all den Sachzwängen.

Mehr denn je brauchen wir in diesen Zeiten unsere Phantasie, müssen wach bleiben, für alles, was wir nicht gleich verstehen und anstatt für das, was uns nur bestätigt. Das Absurde gibt uns den nötigen Raum mit Humor und Leichtigkeit die anstehenden Aufgaben zu meistern.

„Du kannst den Blick so einstellen oder so einstellen. Ich stelle ihn lieber so ein.“ Karen hätte kein besseres Schlusswort finden können. Und dazu passt ihr Blick rüber zu dem Fenster auf der anderen Hofseite, hinter dem jemand einen Urwald züchtet.

Am kommenden Montag werden wir ernst, so wie es unsere Profession als Kunsthistorikerinnen gebietet. Es geht um die klassische Bildbetrachtung und die führt uns zu den alten Niederländern und wieder wer weiß wohin, so ist das bei uns. Wir haben mit der Kunst eine neue Wirklichkeit sehen gelernt. René Magritte gehört zu unseren Lehrmeistern: Ceci n’est pas une pipe.