Wann haben wir Kunsthistoriker*innen schon die Gelegenheit, mit einem noch lebenden Künstler*in zu sprechen? Die meisten sind schon lange tot, Rembrandt, Rubens, Dürer…. Wir sind ikonographisch auf das Werk zurückgeworfen und hangeln uns entlang der historischen Daten. Es ist ein amüsanter Auftakt, den Karen Michels für das Gespräch mit meiner Tochter Toska wählte, die gerade ihre erste Ausstellung in Berlin hinter sich hat. Weiter geht es im Garten und im Kapitänshaus in Kampen auf Sylt.

Ursprünglich war der Abend als kleine nachträgliche Geburtstags-Party samt Preview gedacht, dann hatten sich die Beiden zum Talk über Kunst verabredet und immer mehr Freunde sagten spontan ihr Kommen zu. Ich musste nur noch alles in einen „Topf“ werfen, um daraus einen wunderschönen Auftakt in die Sommersaison Sylt zu machen.

Den Tag über hatte ich die Boutique umgeräumt, um Platz zu schaffen für die Objekte, die Tuschzeichnungen und das große Gemälde. Toska war derweil beschäftigt, die komplizierten Teile nach dem Transport wieder zusammenzubauen.

Sorgfältig polierte und arrangierte sie die Kristalle der Skulptur „Fragile Boundaries“. Ich liebe diese Arbeit, die mich an Giacometti oder Duchamps erinnert, in ihrem Spannungsfeld von hart und weich, zerbrechlichem Widerstand und aggressiver Gestik. In dem Gespräch erwähnt es Toska, wie sehr sie in Dualitäten und Wechselbeziehungen arbeitet.

Die Tuschzeichnungen stecken in schlichten randlosen Wechselrahmen mit schmalen Metallklammern. Es gefällt mir. Ich mache daraus einen Sechser-Block, in dem sich die Motive gegenseitig bereichern. Toska erzählt später, dass sie nie eine Zeichnung wegwirft. Es könnte sein, dass gerade diese zur Stütze des Ensembles wird.

Ich kann mich nicht sattsehen, wie der Raum sich verändert und die Kunst ihre Kraft ausströmt. Dabei besitzt jede Arbeit eine überraschende Balance in ihren abstrakten Formen.

Das ausladende Objekt „Skirt in Revolt“ aus Seide (19. Jahrhundert) und Drahtgeflecht findet seinen Ort im Kirschbaum. Die Räume im Kapitänshaus sind zu niedrig, denn wir müssen doch frivol unter den Rock schauen können und gleichzeitig unseren Blickt zwischen den Ästen verlieren.

„Ich sehe Textilien und Draht, Glas und Spinnweben, Tuschzeichnungen und Malerei. Was beschäftigt Dich?“ Es ist eine der ersten grundsätzlichen Fragen von Karen an Toska.

Toska fasst es als Gliederung auf für das Thema der Ausstellung: Die Mode, die Natur und die Abstraktion als Bereiche sexueller Begierden und ihrer fetischhaften Vereinnahmung und Umdeutung.

Ich umkreise die Gruppe, mache Fotos, wechsele die Perspektiven, bin dieses Mal nur als Beobachterin involviert, um mit einem gewissen Stolz zu sehen, wie meine Tochter konzentriert und reflektiert ihre Gedanken ausbreitet. Ich spüre, wie bei allen die Neugierde wächst, ihre Kunst in der Tiefe zu entdecken.

Wie findet sie die Materialien? Die Objekte finden sie und nicht umgekehrt, so ihre Antwort. Eine Corsage, ein Rock, ausrangierte Teile von Kronleuchtern. Aus dem jeweiligen Kontext gelöst und aus einer vertrauten Formensprache heraus führen die Wege in neue Bereiche der künstlerischen Intuition. Toska entwickelt ihre eigene Sprache, die surrealistisch wirkt in ihrer Vielschichtigkeit.

Wann ist eine Arbeit fertig, will Karen zum Ende des Gespräches wissen. Sie kennt diese Problematik vom Schreiben, noch eine Korrektur, noch ein Kapitel. Irgendwann muss notgedrungen der letzte Satz kommen, der Drucker wartet.

Toska lächelt: Fertig ist etwas, wenn keine Zeit mehr bleibt, daran weiterzuarbeiten. Es ist aber auch ein Gefühl, wann der letzte Pinselstrich getan ist oder die letzte Muschel in der Skulptur ihren Platz gefunden hat. Manchmal müssen die Arbeiten ruhen, ein, zwei Tage, Monate, um sie noch einmal zu korrigieren oder zu ergänzen. Selbst das „fertig“ ist relativ.

Gibt es schon einen Ausblick, die nächsten Projekte, fragt Karen zum Schluß. Schön, dass ich es als Mutter vielleicht auf diesem Wege erfahre. Wir hatten noch keine Zeit, ausführlich miteinander zu sprechen.

Ja, es gibt weitere Ideen. In Paris gehört sie zu den Gründungsmitgliedern eines Kollektivs mit dem Namen „MROK“ (polnisch: Dunkelheit), einem Zusammenschluss polnischer, ukrainischer und bela-russischer Künstler*innen als „Romantisme noir“. Es geht um die Herkunft einer gemeinsamen Sprache in der Kunst.

Applaus für Karen und Applaus für Toska, diese junge hochbegabte Künstlerin, die zufällig oder nicht zufällig meine Tochter ist. Die Wolken am Himmel haben sich verzogen, und die Sonne kommt heraus für einen illustren Abend zwischen Kunst und Freunden.

Die offizielle Vernissage findet am kommenden Dienstag, den 15. Juli, von 15 – 18 Uhr statt. Toska wird anwesend sein. Die Ausstellung geht bis Ende August 2025.