Der Kaffee ist gerade fertig, ich ruckele mich am Schreibtisch zurecht wie die Pianisten am Flügel auf der Bühne. Alles muss am rechten Platz sein, auf den Zentimeter genau, der Stuhl, der Tisch, der Computer, die Tasse daneben … Erst dann kann ich mit den Finger über die Tasten huschen und meinen Gedanken seinen Lauf geben. Das Handy klingelt. So früh?! Eine Freundin ist dran mit Tränen in der Stimme. Es würde ihr alles zu viel werden, all die Termine, ihr geht es nicht gut. Kratzig klingt meine Antwort, sind schließlich meine ersten gesprochenen Wörter am Morgen. Ich sage ihr, sie soll alles stehen und liegen lassen, egoistisch sein in eigener Sache. Es gibt nur dieses eine Leben. Ich erzähle ihr von meinen Rosen.

Gestern regnete es auf der Insel, erst vorsichtig nur ein paar Tropfen, dann stetig, es war dabei warm, alles begann zu duften. Spät ging ich noch eine runde mit den Hunden über die Wiesen. Als ich zurückkehrte sah ich neben dem Haus die Rosen leuchten. Sie standen früher vergessen und übersehen vor Uschis Dessous Laden. Aber nun ist Uschi schon lange fort und die Rosen sind ein paar Meter zu uns gerückt.

Ich habe nie auf sie geachtet, sie waren da und waren nicht da. Hatten sie immer schon dieses herrliche Pink? Ich kann mich nur an zickige, halbvertrocknete, spießige Rosen erinnern. Ich mag keine Rosen, bin eher der Typ Wiesenblume, aber diese sind wie eine früsternde Gemeinschaft von Zauberwesen.

Wie Poesie kleben die Regentropfen an ihnen! Ich muss an Georgia O’Keeffe und ihre Malerei denken. Aber hier ist es viel saftiger und frischer, so lebendig und sinnlich. Ich mache Fotos und überlege, ob ich über den Regen schreiben sollte. Das Thema ist komplex. Regen in Zeiten des Klimawandels, was ist das? Ich vertage den Bericht. Diese Rosen hier stehen für etwas anderes, entscheide ich kurzfristig.

Meine Augen wandern von Tropfen zu Tropfen auf den zarten und kräftigen Schattierungen von rosa-rot, auf den grünen Blättern mit den unregelmäßigen Zacken, wie in einem Märchen. Ob es bei Dornröschen auch geregnet hat? Ich verharre ganz in dem Moment. Beobachte, wie sich die Blütenblätter falten und kringeln, prall und voller Lust. Lust auf einfach so sein, wie man ist, ohne was zu wollen.

Termine? Ha! Die sind heute gecancelt, meine liebe Freundin. Geh spazieren, lass Dein Handy zuhause auf dem Küchentisch. Anrufe? Nein, die sind nicht wichtig. Du könntest etwas verpassen? Nein. Du könntest nur Dich verpassen.