Es ist erstaunlich, wie man beim Lesen, Stöbern und Zuhören mit den Gedanken auf verwegene Wanderschaft geht. Ein Stichwort motiviert das nächste und führt in die unbekannten Winkel märchenhafter Traumländer. Auf Baumwesen folgen die Meergeister. Aber lasst mich von Anfang an erzählen.
Die Freundin und ich sitzen beim Frühstück und unterhalten uns einmal mehr über die CHILDHOOD Kollektion. Es ist zu einem Ritual geworden, jeden Sonntag, mit frisch gebackenen Brötchen, Kaffee, und Rührei vom Grafen. Letzterer verabschiedet sich irgendwann, und wir Frauen tauschen uns weiter aus. Schnell geht es hin-und-her. Für sie bin ich eine ungezähmte Mischung aus Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter. Sich selbst beschreibt sie als harmoniebedürftiger und „beeindruckt von der Liebes- und Leidensfähigkeit der kleinen Meerjungfrau. Nicht nur im Wald ist es dunkel …“, schließt sie ihren Satz.
Dort knüpfe ich an. Wer war diese Meerjungfrau, die ich nur aus Walt Disney kenne. Dort ist das Ende, typisch Hollywood, ein gutes. Für Roma nähte ich damals ein Kostüm und färbte ihr die Haare rot. Wir sprechen noch heute davon. Mehr weiß ich nicht. Ich recherchiere und stoße sofort auf das gleichnamige Kunstmärchen von Hans-Christian Andersen, veröffentlicht 1837, basierend auf der antiken Sage der Undine.
Als Meerjungfrauen-Kind hört sie von den Älteren wie es bei den Menschen ist, wie die Blumen dort duften und die Fische = Vögel singen. Mit sechzehn darf sie erstmals aus der Tiefe an die Oberfläche. Ein Schiff ist in Seenot, darauf ein Prinz, den sie vor dem Ertrinken rettet und sich in ihn verliebt. Er weiß jedoch nicht, wer ihn vor dem sicheren Tod bewahrte und verliebt sich in eine andere. – Der Klassiker. – Sie fleht die Meerhexe an, sie in einen Menschen zu verwandeln, muss dafür allerdings ihre Stimme hergeben. Stumm versucht sie vergeblich das Herz des Geliebten zu erobert.
Anders als in den Volksmärchen, endete es bei Hans-Christian Andersen traurig. Ich klicke im Netz weitere Links an und lande bei
„Undine geht„
von Ingeborg Bachmann. Eine kleine Novelle von gerade mal elf Seiten lang, die mich schier umhaut. Auch hier geht es um die unerfüllte Liebe. Ich lese … die Blätter fliegen im Wind, ich fangen sie ein, berge den literarischen Schatz.
„Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer! (…) Immer wenn ich durch die Lichtung kam und die Zweige sich öffneten, wenn die Ruten mir das Wasser von den Haaren leckten, traf ich auf einen, der Hans hieß. (…)
Jedes Wort ist präzise gewählt, kein Satz darf fehlen. Es fällt mir schwer, die Passagen zu wählen, alles ist gleichmaßen wichtig und wahrhaftig. Die erste Seite endet mit einer vorauseiligenden Drohung: „Ich werde nie wiederkommen, nie wieder Ja sagen und Du und Ja. All diese Worte wird es nicht mehr geben, und ich sage euch vielleicht, warum.“
Die Liebe zu dem ersten, dem zweiten, welchem Hans auch immer, sie wird sich nicht erfüllen, sich nie einbetteten in ein „Nest“, in eine Geborgenheit. „Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben.“ Es scheint das Schicksal der Meerjungfrau. Ich befürchte, es gilt auch heute noch.
Bachmann beschreibt die Männer, wie sie heimlich auf den „Muschelton“ lauschen und die „Windfanfare“, den „Ruf von weither, die geisterhafte Musik.
Komm! Komm!“
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„Ihr Ungeheuer mit euren Frauen! Hast Du nicht gesagt: Es ist die Hölle, und warum ich bei ihr bleibe, das wird keiner verstehen … Ihr Ungeheuer mit euren Redensarten, die ihr die Frauen sucht, damit euch nichts fehlt, damit die Welt rund ist. Die ihr die Frauen zu euren Geliebten und Frauen macht, Eintagsfrauen, Wochenendfrauen, Lebenslangfrauen und euch zu ihren Männer machen laßt.“
Während ich es lese und nochmals lese, sehe ich sie alle vor mir, die Männer und Frauen, die guten Paare, die schlechten Paare, die die tapfer sich suchen und bleiben. Alles ist in der Erzählung „Undine geht“ auf den wenigen Seiten gebannt. Ein Meisterwerk.
„Nie wart ihr mit euch einverstanden. Nie mit euren Häuser, all dem Festgelegten. Über jeden Ziegel, der fortflog, über jeden Zusammenbruch, der sich ankündigte, wart ihr froh insgeheim. Gern habt ihr gespielt mit dem Gedanken an Fiasko, an Flucht, an Schande, an Einsamkeit, die euch erlöst hätten von allem Bestehenden.“
Meine Freundin und meine leidensfähige Meerjungfrau, ist es so? Und wer sind wir, die wir uns mit einem Windhauch ankündigen, wie Bachmann schreibt, die wir mit unserem So-sein, hübsch gekleidet, klug und mit kessem Lachen, die wohlbehütete Komfortwelt aufwirbeln.
„Ihr Ungeheuer, dafür habe ich euch geliebt, dass ihr wusstet, was der Ruf bedeutet, dass ihr euch rufen ließt, dass ihr nie einverstanden wart mit euch selber.“
Der Moment, in dem man sich nicht versteht und nicht begreift, ist eine „herrliche und große Weile“. Denkt darüber nach. Damit entlasse ich Euch in diesen Sonntag. Mein Lampione Schal kann auch Meerjungfrauen umarmen, „von der Art, die zu keinem Gebrauch bestimmt ist.“
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Was für eine wunderbare Beschreibung der Mann-Fraubeziehungen… Du hast mich neugierig gemacht auf die,gehende‘ Undine…