Gestern Abend war Premiere des Jedermann in Salzburg. Philipp Hochmair in der Hauptrolle wie schon im Jahr zuvor und 2018, als er für den erkrankten Tobias Moretti einsprang und innerhalb von 30 Stunden das Traditionsstück von Hugo von Hoffmannsthal rockte. „Dieser Jedermann musste irgendwie aus sich selbst heraus entstehen. Worum geht es hier in diesem Stück? Was will ich erzählen? Was will ich überhaupt?“ Fragte sich der Schauspieler wenige Minuten vor dem ersten Auftritt. Der richtige Moment, um heute sein Buch vorzustellen, das vor wenigen Tagen erschien, geschrieben zusammen mit der Journalistin und Schriftstellerin Katharina von der Leyen.
Ich lernte Philipp Hochmair in seinem Jedermann-Schicksalsjahr 2018 kennen. Er war Talkgast in der Milchstasse 11 und jede(r) erlag dem Charme dieses charismatischen Typen, der einem das Gefühl gab, man wäre die einzige im Raum, die ihn interessierte. Dann verabschiedete ich ihn in die dunkle Nacht und in seine Einsamkeit, die mich rührte. Als wir uns vor ein paar Wochen im Dienstag Salon wiedersahen, wirkte es wie gestern, dabei war so viel dazwischen passiert. Hochmair wo warst Du?
Im Vorwort von Katharina von der Leyen schwingt ihre Beziehung zu diesem außergewöhnlichen Mann mit: „… als Schauspieler schwer zu bändigen und als Mensch oft nicht zu gebrauchen, aber er ist nie egal.“ In den ersten Kapiteln nähert sie sich zunächst mit einer fast spröden Distanz, als bräuchte sie diese Kontrolle. Sie spricht von „Philipp Hochmair“, nicht „Philipp“, nicht „Hochmair“, sondern mit ganzem Namen, als würde sie ihn bewusst als Objekt der Betrachtung ein Stück von sich schieben.
Beinahe „brav“, auch so ein Hasswort, das sich durch sein Leben zieht, beginnt sie mit der Schilderung seiner Kindheit, dem Jungen, der das Gefühl hatte, in der falschen Familie gelandet zu sein. Zu viel gehorchen, zu viel funktionieren. „Er war ein einsames Kind und musste irgendwie selbst damit fertig werden. Aber das Gute war: Er lernte auf diese Weise, sein späteres Publikum zu trösten.“ Hier deutet sich schon an, wie treffsicher sie ihn beschreiben wird, ihn, der sich selbst als „verbindlich unabhängig“ bezeichnet.
Seite für Seite nimmt das Buch an Fahrt auf. Von der Leyen wird immer (selbst-)sicherer, verwebt auf geniale Weise seine und ihre Sätze, dass die Leser*innen kaum mehr spüren, wer ist wer. Sie hat ihn „erwischt“, wie er es sonst über die Verbindung zum Publikum sagt. Sie beobachtet ihn, sie interpretiert ihn, ihre Skizzen seiner Person werden frecher. Philipp Hochmair, der „Kunstsoldat“, ständig unterwegs mit leichtem Gepäck.
Und dann lassen beide einfach los, und es entwickelt sich ein erzählerischer Rausch, der direkt zum Wesen der Kunst führt: alles geben, alles riskieren, alles verlieren und alles gewinnen. Das ist Josef Beuys, das ist Lou Reed, Patty Smith, Alexander McQueen. Das ist Goethes Werther. Dem Tod so nahe wie dem Leben, barfuss spazieren durch die Welten und sich dabei ganz dem Gegenwärtigen ausliefern (… und dafür geliebt werden).
Der junge Mann, der der Enge des bürgerlichen So-seins entfliehen musste, um sich auf der Bühne zu finden, hat mit seiner Co-Autorin ein grandioses Buch geschaffen, das atmet, das leidet, das verzweifelt, rau und ungeschliffen, aber genauso zart und feinsinnig, getrieben von der Sehnsucht und dem unstillbaren Verlangen nach neuen Impulsen, nach Leidenschaft, die geteilt werden will.
„Sei einfach Du selbst, es muss ganz super werden.“
Wenn das nur so einfach wäre. Dieser Satz erinnert mich an meinen Lehrer in der Schule, der ständig zu mir sagte: „Nun denk doch mal nach.“ Dann war es einfach nur dunkel in mir. „Hochmair wo bist Du?“ – „In 25 Jahren weiß ich das nicht mehr, drum schreiben wir jetzt auf“, steht auf der Innenseite des Covers, es wirkt wie aus einer Sammlung von schnellen Notizen. Das scheinbar Flüchtige besitzt jedoch eine bestechende Komplexität. Da ist einer, dem es um die „Entwicklung der Seele“ geht.
Hochmair und von der Leyen führen uns biographisch und autobiographisch durch ein aufregendes Außenseiterleben, ein Künstlerleben, das von (Selbst-)Zweifeln getrieben ist (oder sein muss). Daraus speist sich Kreativität. Das Gefühl, falsch zu sein, alles ist falsch, ich bin falsch, mit dazugehörigen „anti-pragmatischen Entscheidungen“, einer kafkaesken „qualvollen Reise“, es gehört alles dazu. Am Ende bezeichnet er es selbst als „Akt der Transformation“. Und dann bestätigt sich im Übermaß, „dass er richtig ist, genau dort, wo er ist“.
Unmerklich gerate ich mit in diesen Strudel von existentiellen Fragen: Wo stehe ich? Bin ich davor oder danach, ständig unterwegs, innerlich auf dem Sprung. Ich denke an Bruce Chatwin, den Nomaden, und an viele, viele mehr. Ihre Namen habe ich eilig an den Rand gekritzelt, Sätze unterstrichen und Wörter eingekreist.
„Es hat sich etwas Übernatürliches eingestellt; ich habe den Himmel berührt“, schreibt er an einer Stelle über das Konzert vom 9. August 2024 in der Burg Clam: „Jedermann Reloaded“ XXL. Auch das habe ich mit meinem Bleistift markiert und erinnere eine Vorstellung der Pianistin Martha Argerich mit ähnlichem Kommentar. Kunst und Leben sind eins!
Philipp Hochmair hat sich mit einem „Talent für das Talent“ in die „Frontmann-Position“ gebracht, ist ein Rockstar geworden mit dieser Mischung aus Charisma, Exzess und Rebellion. Unter der Regie von Robert Carsen für den Jedermann 2024 lernte er den klassischen Text noch einmal neu, begriff, wie man seine Kraft verströmt, ohne nur zügellos zu sein, sondern weich und demütig die Menschen berühren kann. – Solche Sätze hauen mich um!
Das Buch hat mich begleitet auf meinen Spaziergängen, im Bus, beim Friseur, am Strand. Sein Inhalt hat irgendwie auch etwas mit mir zu tun, aber das ist wohl so bei guter Literatur. Mit Spaß habe ich mein Lesen inszeniert (Dank an die Kampener Feuerwehr für das Megaphon).
Am kommenden Donnerstag, den 24. Juli, 18:00 Uhr wird „Hochmair wo bist Du?“ mit auf dem Tisch liegen, wenn Robert Eberhardt (Felix Jud Cottage) und ich unsere Lieblingsbücher des Sommers vorstellen (bei Roma e Toska in Kampen).
-
KINDERMOND MEN’S SHIRT, SEIDENGEORGETTE
€598,00 inkl. Mwst. -
STREIFEN BLAZER, MULTI
€798,00 inkl. Mwst.