Freundinnen vor „Freundinnen“, einem Bild von Sigmar Polke aus dem Jahre 1965/66, das gerade in den Deichtorhallen in Hamburg hängt. Titel der Ausstellung: „Die jungen Jahre der alten Meister. Baselitz. Richter. Polke. Kiefer.“ Prädikat: Absolut sehenswert.
Gezeigt werden die Arbeiten dieser Künstler aus den 1960er Jahren, zu einem Zeitpunkt, als noch keiner ahnen konnte, dass sie zu Weltstars werden würden, dass sie zu dem „Kunst-Wunder“ Deutschlands gehören, so wie das „Fräulein-Wunder“ oder das „Wirtschafts-Wunder“, wie es in dem Katalog zur Ausstellung einleitend heißt. Sie sind in die Hitlerzeit und in den Zweiten Weltkrieg hineingeboren, ihre Kindheit fand zwischen Trümmern statt und die Reflexion darauf ist auch eine Reise zu sich selbst mit den Mitteln der Kunst.
Nun hängen ihre Arbeiten als Inkunabeln der Kunstgeschichte in der Deichtorhalle mit einer Aura und Macht, die die Muffigkeit aus der heraus sie entstanden sind, komplett ausblendet. Eines meiner Lieblingsbilder seit Ewigkeiten: Das Seestück von Gerhard Richter. Ich muss an Roland Barthes denken was er über Cy Twombly schrieb, wenn der Künstler hinter dem Bild zurücktritt, dann bekommt es seine Transzendenz und steht über der Zeit.
Daneben der Witz von Sigmar Polke. „Carl Andre war in Delft“, der große amerikanische Minimal-Artist mit seinen Rechtecken begegnet dem holländischen Kunsthandwerk. Wer denkt da nicht gleich auch an unsere Seiden-Chiffons, ich auf jeden Fall. Ich muss sie unbedingt wieder auflegen.
Und dann die rechte Ecke oben schwarz. Mal schauen, was „höhere Wesen“ mir heute für den Tag einflüstern werden. Die Kunst und das Leben spielen miteinander.
Wo findet sich die Realität, nicht auf dem Bild, wie Georg Baselitz schreibt, sondern das Bild ist die Realität. Er stellt es auf den Kopf und antwortet damit auf die Abstrakten Expressionisten und auf die Zeit, die Malerei … Ich werde noch einmal in dem Katalog nachlesen, was er im Interview mit Götz Adriani sagt, denn die Ausstellung sollte zunächst nur ein Buch werden mit Interviews der drei noch Lebenden. Gespräche über Kunst in einem Jahrzehnt, das die Welt noch einmal umkrempelte: Kalter Krieg, Mauerbau, Eichmann Prozess, Anti-Babypille, Kennedy und seine Ermordung, Martin Luther King, der Flug zum Mond, der Krieg in Vietnam und die Revolte der 1968er.
„Eine Vase auf den Kopf gestellt bleibt eine Vase. Eine Vase auf einem Bild, noch dazu verkehrt herum, ist keine Vase.“ Georg Baselitz, 2019.
Anselm Kiefer, 1945 im Bombenhagel geboren, reist durch Deutschland und „besetzt“ die Orte mit seiner zum Hitlergruß ausgestreckten Hand. Er wollte und musste verstehen, wie es sich anfühlt, wie er Last und Verantwortung für das Grauen in Kunst umwandeln kann. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ schrieb Paul Celan. Es wird an den Anfang des Kataloges gestellt und umgedeutet in „Die Kunst ist ein Meister aus Deutschland“. Die vier, Baselitz, Richter, Polke, Kiefer, haben sich ihrer Zeit gestellt und Werke geschaffen, die den Blick auf unser Land positiv verändert haben.
Es ist eine großartige Ausstellung, die wir an diesem Sonntag Nachmittag durchwandern. Wir müssen zurückkehren und noch einmal schauen und noch einmal. Es sind zu viele Informationen, zu viele Eindrücke und Emotionen. Bis zum 5. Januar 2020 in den Deichtorhallen in Hamburg. Katalog € 34,90.
Cornelia trägt den Faltenrock mit gelb-blauen Streifen, Savannen Seidenchiffon und Roma e Toska Mohair Mantel. Ich trage den braunen Woll-Bouclé Wickelrock, die Waterscape Bluse, Pullover und wir beide haben an den Füßen die braunen Schaft-Stiefel von Taglia Scarpe. Und so ganz nebenbei zogen wir ein wenig die Blicke der anderen Ausstellungsbesucher auf uns.
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