Wer weiß schon, wie das Leben spielt. Es ist diese große Unbekannte, die uns schreckt und gleichzeitig fasziniert. Geht ein Plan auf oder nicht, was lauert an der nächsten Ecke? Leicht sagt sich: „Follow your dreams“. Nur welche Träume? Hab ich sie schon geträumt oder wollen sie erst geträumt werden? Ein nachdenklicher Einstieg in eine wunderschöne Geschichte, und die hat mit Kaffee zu tun. Hier ist die Fortsetzung vom letzten It’s a Dienstag.

In meinem Beitrag über Liliana Caicedo Schwarzbach, der Präsidentin der Internationalen Frauen Kaffee Allianz Deutschland (IFKAD), hatte ich versprochen, auch über Juan Sebastián Mejía Villegas zu schreiben, einem Unternehmer, dem man das Staunen über die Machbarkeit von Visionen im Gesicht ablesen kann.

1982 wurde er in Bogotá, Kolumbien, geboren. 2008 ging er in die Schweiz, um dort seinen Master in Poltikwissenschaften zu absolvieren. Dort lernte er seine Frau Janina aus Hamburg kennen. Gemeinsam kehrten sie in seine Heimat zurück, wo sein Vater ihnen ein Grundstück wenige Stunden von der Hauptstadt entfernt schenkte. Sie bauten ein Haus, bekamen ein Kind und kümmerten sich mit ihrer NGO (Non-governmental Organization) um soziale Projekte. Juan plante seine Doktorarbeit über ein indigenes Volk, das im Nationalpark Sierra Nevada de Santa Marta lebt. Aber Kolumbien ist ein gefährliches Land, paramilitärische Einheiten machten die Region unsicher. Das Vorhaben scheiterte.

Sie entschieden sich, die Tochter in Hamburg aufwachsen zu lassen. Im Gepäck ein paar Tüten Kaffee von der Plantage eines Freundes. Vielleicht könne man sie in Deutschland verkaufen. Spontan muss ich daran denken, wie mir ein Knopfhersteller ein paar seiner Lieblingsknöpfe in die Hand legte: „Tragen sie sie ein wenig mit sich, es wird sie verändern.“ (Auch dazu gibt es eine Geschichte.)

Juan und Janina gründeten wenig später „Kaffair“. Er reiste zurück nach Kolumbien, suchte nach kleinen Kooperativen, wie die seines Freundes und baute selbst Kaffee an, genau in der Region, in der Unruhen seine Dissertation verhinderten. 5.000 Bäume, das sind wenig, aber warum müssen wir immer nur groß denken. Klein kann die Zukunft sein, achtsam und nachhaltig. Klein könnte eine wichtige Inspiration für die Global Player werden.

Von Juans Kaffee-Anbau gibt es mittlerweile viele. Aber seine Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt, denn er addierte zu der sorgsamen Ernte den emissionsfreien Transport. Statt mit Containerschiff, läßt er seine Kaffeesäcke mit einem Zweimaster Segler halb um die Welt transportieren. Unterwegs stoppt die Crew in verschiedenen Ländern, um andere Güter einzuladen wie Cacaobohnen, Rum, Olivenöl. Drei Monate ist es unterwegs quer über den Ozean bis nach Amsterdam.

Aktuelle Karte der Gallant, Stand 17. Mai 2024. Sie hat Santa Marta (Kolumbien) mit Juans Kaffeesäcke verlassen.

Gestern habe ich recherchiert und komme von einer Online Seite in die nächste mit Männern und Frauen, jungen Teams, die die Welt anders denken wollen. Sie kombinieren alte Traditionen mit modernen digitalen Techniken. Juan arbeitet mit der Blue Schooner Company zusammen und die wiederum mit der niederländischen Reederei Fairtransport, die Großsegler aufkaufen, aufarbeiten und für die Meere fitmachen.

Sie alle beleben historisches Handwerk, integrieren junge Auszubildende, schaffen ihre Netzwerke und Datenbanken für wissenschaftliche Auswertungen. Sie sind ein Symbol für neue Konzepte geworden, beweisen täglich, was alles möglich sein kann, wenn man es mit Leidenschaft anpackt. Ihr Logo: 100% Windkraft.

Was uns antreibt, ist die Vision eines ausgeglichenen, gesunden Planeten, auf dem wir Menschen sozial, ökologisch und ökonomisch verantwortungsvoll, nachhaltig und gerecht zusammenleben und einen Lebensstil führen, der diesen Werten entspricht.“ Steht es auf der Seite von Fairtransport. Das sind die drei führenden Köpfe dazu.

Jorne Langelaan, Arjen van der Veen und Andreas Lackner aus den Niederlanden. Die Gründer von Fairtransport.

Warum muss Zeit immer gleich Geld sein? Die Wiederentdeckung der Langsamkeit schafft eine andere Perspektive und bedient eine Sehnsucht von Abenteuer und Freigeist. Unser Alltag erhält zu dem, was wir konsumieren, eine emotionale Ebene, die uns viel zu oft fehlt: Leidenschaft.

Juan dachte weiter. Wenn 100% emissonsfrei die Vorgabe ist, dann funktionieren auch keine LKWs von Amsterdam nach Hamburg. Er fand eine Truppe Freiwilliger, die mit Lastenrädern jeweils einen Sack mit 70kg transportieren. Übernachtet wird im Freien oder in Zelten. So entstand:

Sailing Cycling Coffee

Eines kann ich jetzt schon verraten, bei der nächsten Tour bin ich dabei: Bridget goes Amsterdam– Hamburg. Und im Sommer wird Juan vielleicht mit seinem selbstgebauten Kaffee-Tasting Bike zu uns auf die Insel kommen. Wäre doch schön, so im Garten mit Strandkorb und Möwengeschrei.

Ich frage ihn, ob sich das ganze rentieren würde, ob er und seine Familie davon leben können. Er lächelt. Der Verkauf des Kaffees allein reicht nicht, aber die Geschichte dazu von „Sailing Cycling Coffee“ erzählt er auf dem Wochenmarkt mit dem Koffee-Fahrrad, bei einer Tasse Kaffee oder auch zwei, oder als Speaker vor den Vorständen von börsennotierten Unternehmen.

Es ist ein florierendes Business standen, das wachsen darf, das Menschen zusammenbringt mit ähnlichen Überzeugungen. Es macht mir Hoffnung, denn dahinter stecken keine eigenbrödlerischen Querköpfe oder weltfremde Nostalgiker, sondern smarte Business-Typen, die etwas verändern wollen, um es zu bewahren.

Heute morgen habe ich den Sierra Nevada Espresso getrunken. Sonne, ein Buch, ein Aroma von Schokolade, Karamell und der Duft von Heckenrosen. Der Kaffee hat für mich eine Dimension erhalten, die mich über meinen Horizont hinausträgt. Das gefällt mir und dazu der Gedanke, dass alles möglich ist.