Die Batterie der Waage ist leer. Diäterfolge können nicht notiert werden. Der Wind weht aus Nordwest, beständig und eisig. Ich springe ins Meer, sonst müsste ich die Routine ändern. In den einschlägigen News stehen die aktuellen Covid-Zahlen, und den Fashion Info-Diensten fällt schon lange nichts Neues mehr ein. Zeit für eine Buch-Rezension.
Die Lektüre führt mich in das Jahr 1935 zu einer verbotenen Reise von Peking nach Kaschmir. Scheinbar ein Inhalt, der so gar nicht in unsere Zeit hineinpasst, egal ob hier auf der Insel und sonstwo, mit Fussboden-Heizung und der Erinnerung an den Duft von Rehkeule und Plätzchen. Und doch bin ich fasziniert und erzähle gleich wieso.
Die Autorin ist Ella Maillart (1903 – 1997), geboren in Genf, eine hervorragende Sportlerin, die die Schweiz 1924 bei den Olympischen Spielen im Einhandsegeln vertrat, eine Ausnahmepersönlichkeit. Von 1930 an unternahm sie abenteuerliche Reisen in die Sowjetunion, nach Afghanistan, China, Tibet, Indien, Nepal. Sie sprach fließend deutsch, französisch, englisch, russisch, und als sie 1935 in Peking aufbrach, hatte sie gerade mal acht Stunden Chinesisch Unterricht hinter sich (nicht wirklich gute Voraussetzungen).
Ihr Reisepartner ist Peter Fleming, man stelle sich ihn gutaussehend vor, richtig gutaussehend, der eigentliche James Bond, Eton-Schüler, Korrespondent der Times und Bruder des berühmten Schriftstellers Ian Fleming (der den fiktiven James Bond erfand).
Die beiden sind ein ungleiches Paar mit starken Charakteren, die man sich kaum für solch ein Unternehmen miteinander vorstellen kann. Er ist ein ausgezeichneter Schütze, geistreich, kann überaus charmant mit den Provinzbeamten umgehen, will so schnell wie möglich ankommen. Sie kennt das Karawanenleben, ist eine exzellente Beobachterin, wäre lieber für sich allein und würde endschleunigen.
Sie wollen China von Ost nach West durchqueren bis in die verbotenen Oasen von Sinkiang und weiter auf die andere Seite des nordwestlichen Himalajas, zu Fuß, mit Kamelen, mit Pferden, am besten entlang der Routen, die so gefährlich sind, dass die Regierung nicht darauf gekommen ist, sie zu sperren. Die Lage ändert sich von Tag zu Tag. Was die nächsten Stunden bringen, bleibt ungewiss.
Soweit der Rahmen der Expedition. Aber das Faszinierende ist für mich die schlichte Sprache, die faktische Erzählweise der Autorin, zwischen deren Sätzen sich alles Beschwerliche und Gefährliche auflöst und man stattdessen die Wärme der Jurte fühlt und den heißen Tee mit Butter schmeckt.
Und dann gibt es die Tage, in denen sie endlos gehen, reiten, oft mehr als 10 Stunden lang. Tiere aus der Karawane werden sterbend zurückgelassen, vor ihnen liegt nur Sand, Geröll, Berge und dazwischen versteckt eine winzige Wasserstelle, wie Stecknadeln in der Weite auf der großen Drift westwärts. Und genau dort, wird dieses Buch am stärksten, wenn nichts passiert. Die Leere füllt sich mit ganz wenigen Dingen, bringen sie zum Schwingen, so dass es für ein ganzes Leben reicht.
Ella Maillard, Verbotene Reise von Peking nach Kaschmir. Die französische Originalausgabe erschien 1937, die deutsche Erstübersetzung 1938. Mein Exemplar wird in dritter Auflage 2019 vom Lenos Verlag Basel publiziert. Ein Meisterwerk der Reiseliteratur, so die einhellige Meinung der Kritiker, und genau richtig in unserer Zeit, in der so wenig und zugleich so viel passiert.
Fantastisch erzählt,
man bekommt total Lust auf dieses Buch, was für eine mutige Frau!