Johannes King und ich haben es versäumt, an unserem ersten Zwei-Sterne-Sommer Talk im Alten Bahnhof in Keitum Fotos von uns zu machen. Die Austern waren wichtiger, genauso wie die Gäste, der Champagner und Rosensecco, der blaue Himmel, das Sommerfeeling. Aber ich erinnere, dass man diese Schalentiere am besten um 7:00 Uhr morgens sammelt. Nicht, dass ich es vorhabe, ich simuliere, halte es mit den Perlen und erzähle dabei die kleine Geschichte der Austern.

Für Austern braucht man den richtigen Moment. Niemand geht an den Kühlschrank, um sich eben mal ein paar Austern rauszuholen. Es braucht die passende Stimmung, die Umgebung, die Menschen, mit denen man das Erlebnis teilt. Austern muss man schlürfen, kauen, langsam die Kehle hinuntergleiten lassen und dabei nach Innen lächeln.

Austernteller von Stefanie Hering.

Johannes öffnet die Austern am Schanier, gießt das Salzwasser ab, löst sie mit dem Messer, schwenkt sie ein wenig und lässt ihre rauhe silbrige Oberfläche im Licht schimmern. Hier steckt die Lösung für Oscar Wildes Satz:

„Die ganze Welt war eine Auster für mich, nur benutzte ich die falsche Gabel.“

Die Auster will unsehrt genossen werden. Man darf nicht mit unnötigen Werkzeugen ihr zartes Inneres zerstören. Das lässt sich doch wunderbar auf das Leben übertragen. Die Sinne übernehmen, wir riechen, schmecken, fühlen. Und spätestens bei Auster Nummer Drei stellt sich der Genuss selbst für Anfänger*innen wie mich ein.

Morgens im Watt. Top YSL, Schuhe Taglia Scarpe, Kette Pierre Cardin, Mütze Chanel, Faltenrock Roma e Toska

Schon der Neandertaler aß Austern. Archäologische Abfall-Funde gehen bis zu 164.000 Jahren zurück. Bei den Römern waren Austern ein Hauptbestandteil der Nahrung. Im 17. Jahrhundert gehörten sie zu den beliebtesten ikonographischen Motiven im Stillleben der niederländischen Malerei. Sie galten als Symbol für Geburt, Reinheit, Fruchtbarkeit und Weiblichkeit. Die Perle in ihrer Perfektion nicht zu vergessen.

Clara Peeters, Stillleben mit Meeresfrüchten, Fischen und Blumen, Holland, 1612 – 1617

Ich erzähle von Casanova (1725 – 1789), der zur Stärkung seiner Manneskraft mindestens 50 Austern pro Tag inhalierte. Er durfte sich dabei in bester aristokratischer Gesellschaft wähnen. Was sie wohl gegen Eiweißschock getan haben? frage ich Johannes, während er die nächste Auster öffnet. Er schaut gar noch hoch, sondern antwortet nur lapidar: Champagner trinken.

Jan Steen, Die Austernessernin, Niederlande, 1658 – 1660

Charles Dickens, der Autor von Oliver Twist, kommentierte es anders in seinen Pickwick Papers (1836): „Es ist bemerkenswert, dass Armut und Austern immer zusammengehören.“ Lewis Caroll widmete den Austern in Alice im Wunderland ein ganzes Kapitel mit dem Walroß und dem Zimmermann. Es liest sich wie die Verführung der bösen Onkels: ‚O Oysters‘, said the carpenter, ‚You ‘ve had a pleasant run! Shall we be trotting home again?‘ But answer came there none – And this was sarcely odd, because The’d eaten every one.

Kette Pierre Cardin, Anfang 1960er Jahre (€ 900)

Es gibt so viel zu erzählen von diesem sinnlichen Meerestier, das mal weiblich und mal männlich sein kann. Ob Goethe in seinem Faust II bei seinem Hermaphroditen Humunkulus an die Austern dachte? Wie immer spekuliere ich gern vor mich hin.

Pierre Cardin, Kette frühe 1960er Jahre (€ 1.100), handgewebte Tasche aus recyceltem Plastik (€ 130)

In Nordfriesland legte Knut der Große schon im 11. Jahrhundert Austernbänke an. Die Nachfrage stieg rasant im 13. Jahrhundert durch Hamburger und Bremer Kaufleute. Es begann der Austernfang mit Segelbooten und sogenannten „Stiekisen“, Netzen mit Riemen und später mit Eisenringen, mit denen man die Schalentiere aus der Tiefe holen konnte. Für Hörnum, Keitum und List wurde der Austernfang zu einer wichtigen Einnahmequelle. Ihr seht, ich habe mich sorgfältig seit Tagen belesen.

Geburtstags-Foto mit Austern Notizen. Immer dabei das Book Bag.

In einem offenen Brief an seine Untertanen mahnte König Friedrich II von Dänemark im Jahre 1587, sich doch im Austern-Genuss zu mäßigen. Ohne viel Erfolg. Bis in die 1920er Jahre fischte man jährlich über eine Million Austern aus dem Wattenmeer, bis nach dem 2. Weltkrieg endgültig alles zum Erliegen kam. Anstatt zu fischen, musste man mühselig von Null mit der Austernzucht beginnen. 1986 wurde die Dittmeyer’s Austern-Company gegründet, die bis heute existiert.

Der erste Zwei-Sterne-Abend mit Johannes King und mir neigt sich dem Ende zu. 100 Austern wurden verspeist, pur, mit Zitrone, mit einer Vinegrette. Dazu gab es Lachstatar, Brot und Salate, Champagner und Rosensecco. Ein wunderschöner Auftakt, der mir einen nachhaltigen Genuss verschaffte.

Er bekommt sie alle verführt, so der Sternekoch. Wir werden sehen. Die Fortsetzung folgt am 18. Juli, ab ca. 17:30 Uhr mit Gabriele Pochhammer und ihrem Talk Leben und Liebe anlog, sowie mit Johannes King als Special-Guest und mir als Moderatorin, diesmal im Kapitänshaus in Kampen.

Ich lese eifrig weiter, es wird frivol, und ehe ich mich versehe, bin ich bei der „Liebesnahrung“ angelangt. Schon am vergangenen Montag fiel mehrfach das Wort „sexy“. Sieh an!

Die Austern bringt Johannes King mit seinem Fahrrad + Getränke. Bei schönem Wetter draußen im Strandkorb. Anmeldung unter: info@romaetoska.de, € 35,00.