Laura Ramirez Barrios, die Generalkonsulin von Argentinien, hatte Carmen und mich zur Eröffnung des diesjährigen Martha Argerich Festivals in die Laeiszhalle in Hamburg eingeladen. Ein Platzregen ging nieder, als ich in den Highheels von Taglia Scarpe, dem Rock von Dior und meiner Bonnard Jubiläumsbluse die wenigen Schritte rüber zum Johannes Brahms Platz huschte. Von allen Seiten strömten die Menschen zum Eingang, Taxis hielten rundherum, Regenschirme.
Wieder einmal fühlte es sich aufregend an, zweimal schon hatte ich die große Pianistin und gebürtige Argentinierin im Konzert gehört, jedes Mal war es ein bewegendes Ereignis gewesen. Nun ist es die Opening Night und ihre Gäste sind einer der größten Cellisten der Welt, Mischa Maisky, sowie der aus New York eingeflogene Jazz Gitaristin, Julian Lage.
Es beginnt Julian Lage, angekündigt als einer der Herausragendsten seiner Generation, der unzählige Strömungen der amerikanischen Musikgeschichte aufgegreift und darauf frei assoziiert. Außerdem wird sein unglaublicher Charme beschrieben.
Wir sitzen in der dritten Reihe, ganz nah, als sich Lage verbeugt, seine Gitarre greift, sich setzt und in den Saal schaut. Er fesselt mit seinem Lachen, mit seinen lässigen Gesten, wie er die musikalische Reise beschreibt und ankündigt. Einen Fuss (in Turnschuhen) hat er auf den abgeknickten anderen gelegt. Ich mache das auch, wenn ich am Schreibtisch sitze, eine kindliche Attitüde.
Dann ist Schluss mit Fotos, ich schließe die Augen, um mich in sein Spiel einzufinden, sehe die Weiten Amerikas, die Canyons, höre Country-Musik-Anklänge und denke immer wieder an die surrealen Bilder eines Salvadore Dalis, voller Symbolkraft. Ein schöner Auftakt. Langsam verschwindet der Alltag aus meinem Kopf. Begeisterter Applaus.
Im Anschluss folgt der Auftritt von Martha Argerich und Mischa Maisky. Ich glaube, beinahe jeder im Saal verspürt sofort das Bedürfnis, sich zu erheben und zu verbeugen. Beide wenden sich einander zu wie für eine letzte kurze stumme Absprache, bevor sie sich auf Frédéric Chopin (1810 – 1849) mit der Cellosonate g-Moll op.65 einlassen, lange nicht mehr gemeinsam gespielt.
Zunächst dominiert das Klavier, scheint das „Gespräch“ zu halten, zu führen, klar, brillant und temperamentvoll, wie es typisch ist für Martha Argerich, aber dann übernimmt das Cello, wird immer freier und öffnet einen unbekannten Weg, hin zu einer musikalischen Liebesgeschichte. Wir werden Zeuge eines musikalischen Dialoges, wie er schöner nicht sein könnte. Aber der Höhepunkt sollte erst nach der Pause kommen …
2. v. l. Laura Ramirez Barrios, Generalkonsulin Argentinen, Carmen, rechts davon Ana Peña Doig, Generalkonsulin von Peru
Martha Argerich und Mischa Maisky betreten erneut die Bühne für die Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll L 135 von Claude Debussy (1862 – 1918). Der Franzose hatte es 1915 geschrieben, mitten in den ersten Krieg hinein, in den Wahnsinn der Zerstörung mit dem endgültigen Zerfall einer Welt, wie sie Proust zur gleichen Zeit in Worten festhielt.
Mein Blick kann sich nicht von Maisky abwenden, wie er sich vorbereitet, wie er sich sammelt, um sich weit forttragen zu lassen in das, was die Belle Epoche war, eine Huldigung des Schönen, ein sinnlicher Überfluss. Er spielt, als wollte er sich mit der Musik gegen den Tod stemmen, mit einer Aktualität, wie sie größer nicht sein könnte. Der Bogen streichelt über die Saiten, sehnsuchtsvoll, schwelgend, nur um kurz darauf an ihnen zu zerren, beinahe brutal über sie zu kratzen, zu hämmern.
Das Cello ist sein Verbündeter und Gegner zugleich, es schmiegt sich an, Maisky scheint es zu umarmen und dann schubst er es von sich weg. In seinem Gesicht verbinden sich Schmerz und Hingabe, das Leiden an der Zeit. Wie ein alttestamentarischer Prophet sieht er aus mit den weißen Haaren und den tiefen Furchen auf der Stirn und den Wangen. Unwillkürlich laufen mir die Tränen herunter. Die Musik erhält etwas Wahrhaftiges, wie man es selten hört.
Als die beiden enden, hebt Martha Argerich kurz eine Augenbraue und nickt leise anerkennend, ich kann es von meinem Platz aus sehen, dann nimmt sie Maisky am Arm, der noch ganz in der Musik zusammengesunken verharrt, um ihn hochzuheben. Zwei Freunde, vor denen sich das Publikum tief verneigt. Jeder im Saal wurde Zeuge von etwas Einzigartigem, das sich so nie wiederholen wird.
Morgen, am Freitag, den 24. Juni 2022 gibt es ab 19:30 Uhr das „Chopin Soirée“ mit Martha Argerich am Klavier und Freunden. Karten sind noch erhältlich. Roma e Toska, nur drei Gehminuten davon entfernt, lädt ein zu einem Crément vorab (17:30 – 19:00 Uhr).
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Liebe Birgit,
Deine Schilderung lässt mich diese wunderbare Musik hören und fühlen.
Es muss unglaublich gewesen sein,
diese Ausnahmekünstler zu hören.
Danke, dass Du uns teilhaben lässt in der Ferne!
Wie gerne wäre ich dabei gewesen, wäre von meiner Wohnung am Johannes-Brahms-Platz in die Laiszhalle gelaufen und hätte mich der Musik hingegeben. Aber nun bin ich in Frankreich – was natürlich auch sehr schön ist – und bin beim Lesen Deiner Beschreibung total eingetaucht in die Atmosphäre und die Klangwahrhaftigkeit dieses Konzertes. Vielen Dank für Deine Worte und die Fotos
What a wonderful evening! My husband plays cello and I play piano, and we greatly admire Argerich and Maisky!!! Birgit, I agree with Nicole that you are also an excellent music journalist!
Wie schön Sie dies wieder beschrieben haben. Danke!
Du bist nicht nur eine außergewöhnliche Modeschöpferin, sondern auch eine hervorragende Musikjournalistin.