Endlich sehen wir uns wieder, lange ist es her, vielleicht eineinhalb Jahre, oder gar zwei? Es fühlt sich jedoch an wie gestern. Christiane von Korff, Kulturjournalistin, ist wieder im Lande, und wir schlendern durch’s Portugiesenviertel, verabredet zum Lunch. Wie immer hat sie ein Buch in der Tasche.
Diesmal ist es Florian Illies „1913“. Kaum haben wir das Essen bestellt, die wichtigsten privaten Dinge ausgetauscht, da fängt sie auch schon an, mir vorzulesen. Ist das schön … ich lausche. Sie beginnt mit ihrer warmen, rauchigen Stimme irgendwo mittendrin (Seite 13/14):
„Die Angst, dass sich 1913 als Unglücksjahr erweisen könnte, sitzt den Zeitgenossen im Nacken. Gabriele D’Annunzio schenkt einem Freund sein »Martyrium des Heiligen Sebastian« und datiert es in der Widmung lieber vorsorglich als »1912 + 1«. Und Arnold Schönberg hält den Atem an angesichts der Unglückszahl. Nicht ohne Grund erfand er die »Zwölf-Ton-Musik« – eine Grundlage der modernen Musik, geboren auch aus dem Schrecken ihres Schöpfers vor dem, was danach kommen würde. Die Geburt des Rationalen aus dem Geist des Aberglaubens. In Schönbergs Stücken kommt die Zahl »13« nicht vor, nicht als Takt, kaum einmal als Seitenzahl. Als er mit Entsetzen merkte, dass seine Oper über Moses und Aaron 13 Buchstaben haben würde, strich er Aaron das zweite a, und so heißt sie seitdem »Moses und Aron«. Und nun also ein ganzes Jahr im Zeichen der Unglückszahl.“
Dann blickt sie auf. Wir müssen nicht viel sagen, es ist eben ein Buch, das in die Tasche gehört, um darin zu lesen, wo auch immer man gerade sitzt oder steht. Vor drei Tagen ist Florian Illies neuer Roman erschienen: „Liebe in Zeiten des Hasses“. Was für ein Titel. Ich habe mir beide bestellt und werde in den dunklen Herbsttagen ein wenig abtauchen in die Lektüre.
Wir bummeln weiter am Hafen entlang. Nein, auf der Buchmesse war sie dieses Mal nicht, internationale Verlage fehlten und mit ihnen die Schriftsteller. Es gab keine Parties und damit keine zufälligen Begegnungen, die so wichtig sind und so viel entstehen lassen. An dieser Stelle möchte ich am liebsten ein wenig angeben mit der Freundin, die mit einigen der berühmtesten Autoren seit vielen Jahren befreudet ist.
Das neue Buch von Ken Follett entscheint am 9. November. Top-Secret. Verlag und Autor luden kürzlich ausgewählte Journalisten zu einem Online-Meeting ein. Auch das ist die neue Realität mit eingespieltem Video und einem „Hallo“ an die Kollegen weltweit. Möglicherweise bitte ich Christiane, zum Stichtag eine kleine Rezension zu schreiben.
Und schon ist unsere kleine Auszeit im Hamburger Indian Summer vorbei. Sie springt in die U-Bahn und ich spaziere beschwingt in meinen „Siebenmeilenstiefeln“ durch mein neues Viertel zurück in die Poolstrasse.
Eine letzte Frage musste sie mir noch schnell beantworten: Welches Buch hat sie in den letzten Wochen am liebsten gelesen. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: Jonathan Franzen „Crossroads“, es wird seinem „Anspruch auf einen großen Epochenroman gerecht“, so Christiane in ihrer Rezension im Bücher Magazin. Lesen!
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