Die Stoff-Andrucke aus Italien für die neue Kollektion sind rechtzeitig eingetroffen: „Monsters of Childhood“ mit Illustrationen der Exil-Russin Iya Voinch. Es geht um die Märchen und eine Zeit, in der die Steine redeten und die Bäume unsere Vertrauten waren, Krokodile unter dem Bett lauerten und Feen in den Wälder sich versteckten. Das Geträumte und das Reale waren eine einzige Wirklichkeit.

Unser Talk-Gast an dem gestrigen IT’S A DIENSTAG ist Dr. Anja Aldenhoff, Medizinerin, Psychiaterin mit Spezialgebiet der frühkindlichen Entwicklung, Journalistin und vieles mehr. Ich schätze sie von unseren Dienstagen mit ihrer eloquenten Scharfsinnigkeit.

Im Gespräch kreisen wir um das „magische Alter“ (Begriff aus der Psychologie) zwischen drei und sechs Jahren. Die Welt erklärt sich mit Hilfe der Phantasie, alles ist lebendig, die Dunkelheit besitzt Augen, die Angst lauert überall, vor dem Verlust, dem Tod, den Hunden, die zu Wölfen werden. Wie sagte Charles Dickens: Was wäre ich ohne Rotkäppchen.

Bewusst habe ich mich an diesem Abend eingekleidet wie das Mädchen, das den bösen Wolf mit einer List zur Strecke bringt: roter schwingender Rock, Brombeerbluse und Fellkragen. Übrigens hat das italienische Modelabel MARNI gerade ein kleines Täschchen mit dem Fliegenpilz-Muster herausgebracht. Bin ich nicht die einzige, die die Märchen zum neuen Trend erklärt?

Jeder in der Runde hat etwas Persönliches aus seiner frühen Kindheit zu berichten, besaß seine HeldInnen: Karlsson auf dem Dach, Pippi Langstrumpf… Ich schwanke zwischen Rosenrot und Schneewittchen. Anja erzählt von ihrer Tochter, die die Feen im Wald fütterte.

Selbst der Weihnachtsmann mit seinem Renntiergespann gehört in die Kategorie der Märchen, soeben ist dazu eine wissenschaftliche Arbeit erschienen.

Märchen erklären nicht, sie lassen es geschehen, sortieren in Gut und Böse, verzaubern, unterhalten und (!) enden trotz aller Grausamkeiten immer mit einem Happy End. Wir lernen und begreifen als Kinder, dass wir viel stärker und klüger sein können als die Ungeheuer. Wir überlisten sie und gewinnen!

Keine Mutter und kein Vater kann so etwas rational für das Kind erklären, sie verunsichern nur mit ihrem nüchternen Verstand, wenn sie sagen, so etwas gibt es nicht. Ich fand von diesem Moment an meine Eltern blöd, denn sie kapierten nicht, was ich so überdeutlich sah.

Gemeinsam schlagen wir den Bogen zu uns heute, wie wir versucht haben, unser Leben erfolgreich zu gestalten, wie wir meinen, die Welt zu verstehen und uns mitten drin. Ich habe meine Zweifel, immer mehr entgleiten uns die komplexen Zusammenhänge, wird ein Deutungsversuch unmöglich gemacht.

Die kommende Kollektion Winterkollektion „Monsters of Childhood“ ist ein Versuch und eine Aufforderung, in unsere frühkindliche Phantasie zu schlüpfen, um daraus eine Zuversicht und eine Energie zu schlöpfen, die uns für all die Anfeindung da draußen stabilierer macht.

Sind die Monster-Gefährten aus unserer magischen Zeit vielleicht die Schutzengel, die wir im Alter wiederentdecken? Anja Aldenhoff ist Wissenschaftlerin, ihr Werdegang besteht aus Fakten und Analysen, und dennoch wirft sie diese These in den Raum.

Ich denke an meinen Baum damals vor dem Fenster, der mich bedrohte und beschützte, mein „Fluchthelfer“ aus dem ersten Stock in die Freiheit. Nie habe ich ihn vergessen, vor meinem inneren Auge ist er immer da, nun taucht er wieder in den Stoffen auf.

Danke Anja für Deine brillanten Gedankengänge. Es wird sicherlich nicht das letzte Gespräch gewesen sein, das wir miteinander zu den „Monsters of Childhood“ geführt haben. Danke auch an die hochkarätige IT’S A DIENSTAG Runde für die Offenheit im Austausch.

Eine wichtige Lektüre empfehle ich am Ende: Bruno Bettelheim, Kinder brauchen Märchen, 1980. Orginalausgabe: The Uses of Enchantment, New York 1977. Ein Standardwerk für jeden, der früher und vielleicht gerade wieder seine Märchen entdeckt und lebt.