„Um eines Verses wegen muss man viele Städte sehen, Menschen und Dinge“, beginnt Birgit Haustedt mit einem Zitat von Rilke ihr Buch über den berühmten Schriftsteller und seine Reisen durch Italien. Ein wunderschöner Einstieg in unseren Hamburger Dienstag Salon mit dem Rückblick auf die Ferien und dem Ausblick, wohin es als nächstes gehen könnte. Die Franzosen feiern es als „La Rentrée“, und so übertitelte ich den Abend in der Poolstrasse. Begrüßungen, Umarmungen, bekannte Gesichter und viele Neue dazwischen, die sich schnell vertraut fühlten beim empfohlenen „Du“ und Prosecco-Rosé.

Birgit Haustedt und ich hatten uns noch nie zuvor gesehen, lediglich zwei Telefonate, die wir austauschten, ein paar Textnachrichten, schon waren wir uns einig, was Termin und Einladungstext anbelangte. „Der Rest, nun, der würde sich schon ergeben“, so ich. Sie schickte mir eine zweiseitige Liste von wichtigen Passagen, aus denen sie vorlesen könnte. Ich überflog es und verließ mich lieber auf meine Intuition, die mich meist schlafwandlerisch durch die Gespräche führt. Dass wir uns mögen, war spätestens klar, als sie durch die Tür kam. Und so bestimmte eine freundschaftliche Nähe unsere literarische Reise mit Rilke.

Wie sie zu Rilke gekommen sei, wollte ich wissen. Sie lächelte ein wenig verhalten, als müsse sie kurz überlegen, ob sie es erzählen will, denn es begann mit einem absoluten Eklat vor der Rilke-Gesellschaft, als sie über Rilke und die Frauen referierte. Da saßen die Herren, und ihnen gefiel ganz und gar nicht, was die promovierte Literaturwissenschaftlerin vortrug. Aber wie so oft im Leben, sind es die „Krisen“, die neue Weichen stellen. Die Lektorin des Insel Verlages hatte davon gehört und kam auf sie zu, ob sie nicht über Rilke schreiben möchte. Es entstand Das schöne Gegengewicht. Rilke in Venedig (2016) sowie zu seinem 150. Geburtstag in diesem Jahr „Rilke in Italien“.

Siehe da, es sind die Frauen, die ihn auf seinen Reisen direkt oder indirekt begleiteten, die ihn beherbergten, sich verliebten, als Mentorinnen und Mäzenatinnen ihre fördernde und forderne Hand über ihn hielten. Ständig unterwegs liebte es der Schriftsteller luxuriös, obwohl ihm dafür gänzlich das nötige Geld fehlt. Er ließ sich einladen (und aushalten) in Villen und Schlössern und eleganten Hotels. Jedoch dann sucht er die stillen unentdeckten Plätze und Orte, an denen er sein Alleinsein pflegen konnte.

Es wurde lebhaft in unserer Runde, während es über Rilkes Frau ging, der Bildhauerin Clara Westhoff-Rilke, mit der er eine Tochter hatte. Wieder zwei Frauen. Hatte er sich genügend um sie gekümmert? Wieweit gelten andere Regeln für künstlerische Naturen? Konnte er überhaupt bürgerliche Normen einhalten? Die Schilderungen springen, genauso wie die Städte, Florenz, Rom, Neapel, Capri, Duino. Und dazu die jeweiligen Frauen. Immer wieder Lou Andreas-Salomé, Geliebte vieler bedeutender Männer und vielleicht Rilkes wahrhaft große (einzige) Liebe und Vertraute, obwohl sie deutlich älter war als er. Sie riet ihm, ein Tagebuch zu kaufen, um alles darin festzuhalten, was ihm auf den Reisen an Eindrücken begegnete.

Rilkes Mutter, die Mann und Kind verließ für ein mondän aristokratisches Umfeld in südlichen Gefilden. Er besuchte sie in Arco am Gardasee. Ihr Verhältnis blieb zeitlebens angespannt, und in zahllosen Briefen schrieb er ihr, warum das gemeinsame Reisen nicht möglich sei.

Birgit und ich blättern mal vor und mal zurück, die Abbildungen und Textstellen führen uns kreuz-und-quer durch dieses herrliche Italien, das es zu entdecken gilt. Ab-und-an liest sie ein paar Verse von Rilke vor, unterbricht, wenn mit der warmen Abendluft von draußen die vorbeifahrenden Autos hineindrönen. Mimi Romanelli, Rilkes lange unbekannte Venezianische Geliebte, schön war sie und unglaublich verliebt. Gemeinsam gingen sind eine Woche lang durch die November-grauen Gassen.

Spätherbst in Venedig. Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder, // der alle aufgetauchten Tage fängt. // Die gläsernen Paläste klingen spröder // an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt // der Sommer wie ein Haufen Marionetten // Kopfüber, müde umgebracht. // Aber vom Grund aus alten Waldskeletten steigt Willen auf: als sollte über Nacht // der General des Meeres die Galeeren // verdoppeln in dem wachen Arsenal, // um schon die nächsten Morgenluft zu teeren // mit einer Flotte, welche ruderschlagend // sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend, // den großen Wind hat, strahlend und fatal.“

„Die Welt da draußen in eine Handvoll Innres verwandeln.“

Was für ein Satz! So jemand kann doch nicht einfach in der Pizzeria um die Ecke abhängen und über den Alltag plaudern. – Oder? Qualvoll und schön, das Leben einsaugen, um es im Alleinsein zu verinnerlichen. Für mich gelten hierfür eigene Regeln. Wieder geht es lebhaft von einem zu anderen. Die Buchvorstellung wird zu einem aufregenden Diskurs. Birgit liest aus dem Beginn für die Duineser Elegien, und es wird jedem darüber bewusst: „Daß wir nicht verlässlich sind in der gedeuteten Welt.“ (Rilke)

Lange blieben wir noch beisammen. Eine illustre Gesellschaft in diesem duftigen Zwischenbereich von Reiselust und Heimkehren: La Rentrée. Die Autorin signierte ihre Bücher. Wir machten Fotos. Zweimal Birgit. Es war sicherlich nicht das letzte Mal, dass wir etwas gemeinsam unternehmen, raunt sie mir zu, und ich bejahte es herzlich. Meinen herzlichen Dank für diesen Abend!

Für jeden Einkauf in dieser Woche gibt es „Rilke in Italien“ als Geschenk dazu, denn Roma e Toska eignet sich perfekt für eine nächste Reise, wohin sie auch gehen mag. Meine führt mich in ein paar Tagen nach Paris.

PS: Damit fällt der IT’S A DIENSTAG nächste Woche aus. Weiter geht es dann am 23.9.2025 mit „Töchter erklären Müttern die Welt“ und Roma, die über den Philosophen John Locke und seinen Apfelbaum erzählt. (Eintritt/Gutschein € 25,00, Voranmeldung unter: info@romaetoska.de)