Wer war John Locke (1632 – 1704)? Er gehört zu den großen Philosophen der Neuzeit. Seine Ideen wurden Grundlage für die älteste demokratische Verfassung, die der Vereinigten Staaten von Amerika, nächstes Jahr feiert sie ihr 250. Jubiläum. Seine Schriften beeinflussten Rousseau und Kant, flossen ein in die Französische Revolution und sind bis heute Bestandteil freiheitlicher Staatsformen rund um den Globus. Es wird also Zeit, dass die Töchter den Müttern erklären, wie wichtig seine Lehren sind, und das am Beispiel von Lockes Apfelbaum.

Meine Tochter Roma studierte Philosophie, absolvierte anschließend in Toulouse eine Ausbildung zur Köchin, lebte vier Jahre auf La Réunion und ist seit kurzem in Berlin. An diesem Dienstag Abend ist sie nicht nur meine Gesprächspartnerin, sondern auch verantwortlich für das Catering, zubereitet mit alten Apfelsorten. Es passt übrigens perfekt zum kommenden Kollektionsthema „Encyclopedia“.

Wie schon vor der Pandemie greifen sie und ich eine erfolgreiche Talkreihe wieder auf: Die Jüngere erklärt der Älteren die Welt, verbunden mit einem lebhaften Austausch von Wissen, von Fragen, die in den letzten Wochen um Hannah Arendt, Machiavelli und nun John Locke kreisen und von verblüffender Aktualität sind. Ist der Mensch gut, ist der Mensch schlecht oder ist er irgendetwas dazwischen? Bestimmen ihn Vernunft und Nächstenliebe oder Angst und Gier?

Roma beginnt mit den drei Naturgesetzen von John Locke. Man möge mir nachsehen, wenn ich vereinfache, ich bin ja die „Mutter“, die Neues lernt: 1. Der Naturzustand: Der Mensch ist frei und gleich innerhalb der durch die Natur gesetzten Grenzen. 2. Der Mensch darf sich zunächst um das eigene Wohl kümmern und dann um das der anderen. Er hat jedoch die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es allen (!) gut geht. 3. Kommt der Mensch mit seinen Mitmenschen in Konflikt oder in einen „Kriegszustand“, wie Locke es nennt, dann gilt es, den zu bestrafen, der diesen Zustand zu verantworten hat. Er wird zum Feind der Ordnung, der Freiheit und des Wohlergehens der Gemeinschaft (Gesetze 1 und 2). Um ihn zu bestrafen braucht es die Bürgergesellschaft. – Verblüffend einfach, vernünftig und verschreckt doch zugleich, da wir überall auf der Welt sehen, wie diese Regeln NICHT eingehalten werden. Und der Apfelbaum?

John Locke beginnt bei dem biblischen Adam, er soll sich mehren (geht nicht ohne Eva) und sich die Natur untertan machen. Diesen altchristlicher Gedanken bringt er in eine ökonomische Evolutionskette und nachhaltige Balance: Das Land gehört gottgegeben allen und damit auch der Apfelbaum. Pflücke ich einen Apfel, so gehört dieser Apfel jedoch mir. Nimmt man ihn mir weg, beklaut man mich. Damit verknüpft der Philosoph das Eigentum mit der Arbeit.

Nehmen wir uns nur so viel, wie wir brauchen, so würde genügend für alle bleiben. Dieser Satz hätte auch heute noch Geltung, selbst bei dem rasanten Anstieg unserer Bevölkerung. Ein Probleme, das Locke übrigens schon im 17. Jahrhundert erkannte. Die Vernichtung von „Äpfeln“, metaphorisch gesprochen, setzt er unter Strafe, denn nichts ist (von Gott) geschaffen worden, um es zu verderben. Ich erinnere an die aktuellen Besprebungen, die Vernichtung von Überproduktion (auch in der Mode) gesetzlich zu verbieten.

Was passiert aber, wenn jemand alle Äpfel nimmt, weitere Apfelbäume pflanzt, ganze Apfelplantagen angelegt? Es ist der Anfang vom Tauschhandel, der abgelöst wird durch das Gold und Geld als Zahlungsmittel. Letzteres verdirbt nicht und lässt sich beliebig anhäufen. Menschen werden gebraucht, die ernten, dafür aber keine Äpfel mehr bekommen, sondern einen Lohn. Der Apfel und das Eigentum gehören nicht mehr zwangsläufig zusammen. Und wenn wir dieses Konstrukt in unser Jetzt potentieren, dann besitzen Wenige ganz viel und bestimmen das Einkommen und damit das Auskommen von Vielen. Der Apfelbaum wird zum Symbol von Macht und Abhängigkeiten, von Angst und Gier.

Roma skizziert zum Verständnis den historischen Kontext von Lockes Theorien. Wir befinden uns in der Zeit der frühen Besiedlung Amerikas. Land, das nach Locke allen gehört. Seine Naturgesetze: 1. Alle Menschen sind frei und gleich. 2. Was auf dem Land wächst, lebt und gedeiht gehört dem, der es erntet oder erlegt, mit dem Recht, für sich zu sorgen, und der Pflicht, für die anderen etwas übrig zu lassen. – Tja, da ging wohl etwas richtig schief.

Wir diskutieren, erinnern an den ursprünglichen Sinn von Thanksgiving. Nachdenklich sitze ich neben meiner Tochter. Wie könnte ein Schlusswort lauten, frage ich sie. Wie kommen wir aus dem fatalen Kreislauf heraus, der unsere Ressourcen beraubt und unsere Zivilgesellschaften beschädigt?

Wir müssen lernen, Maß zu halten, antwortet sie, nur so viel nehmen, wie wir wirklich brauchen. „Denn wenn jemand einem anderen so viel übrig lässt, wie er nutzen kann, handelt er so, als nehme er überhaupt nichts“, zitiert sie Locke. Das aus dem Mund der Tochter wird zu einer Verpflichtung für die Mütter. Meint Ihr nicht auch?!

In Berlin etabliert Roma ihren eigenen Salon in ihrem Berliner Esszimmer: Le diner des fous. Der erste Abend wird am 2. Oktober stattfinden. Wer mehr Informationen möchte, schreibt mir oder ihr direkt: Tel. 0151-22038620. Bei uns geht es weiter nächsten IT’S A DIENSTAG, den 30.9.2025, 17.30/18:00 Uhr mit Cornelia von Wülfing, Königin von Ghana, Initiatorin zahlreicher Hilfs- und Förderprojekte. Anmeldung unter: info@romaetoska.de.