Einen Tag habe ich vergehen lassen, bevor ich mich an diesen Beitrag setze. Ein Tag ganz unter dem Eindruck dieses faszinierenden Dienstagabends mit dem Schauspieler Philipp Hochmair als meinem Talk-Gast. Welches sind die besonderen Akzente, wie sollte die Überschrift lauten, all die Themen, das hohe Tempo der Sätze, wie bringe ich alles zusammen. „Zu komplex“, ruft mir Hochmair rüber. Keineswegs, ich habe es mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit zu tun, die mit den verschiedenen Ebenen spielt … Und das ist komplex!

1989 erschien der Film „Club der toten Dichter“ mit Robin Williams als Lehrer. Der damals sechszehnjährige Hochmair sprang ebenso wie der Schüler Todd Anderson, gespielt von Ethan Hawke, auf den Tisch in der Schule und rezitierte spontan die Ballade von Goethe, Der Totentanz:

„Der Türmer schaut zu Mitten der Nacht // Hinab auf die Gräber in Lage; // Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht; // Der Kirchhof, er liegt wie im Tage. // Da regt sich ein Grab und ein anderes dann … „

Längst schon hatte die Pausenglocke geläutet, aber die Mitschüler lauschten, und die Lehrerin wußte spätestens da, hier ist jemand mit einer außergewöhnlichen Begabung. Neidvoll höre ich ihm zu, bei mir hieß es eher: Wer viel kann, kann gar nichts. Über meine Wege- und Umwege könnte ich auch ein Buch schreiben. Der Lehrerin widmet Philipp seine Biographie, die Mitte Juli erscheint: „Hochmair wo bist Du?“

Hochmair, wer bist Du?“ ist die Frage, die in meinem Inneren während des Gespräches mitschwingt. Er macht es mir nicht schwer, jeder seiner Sätze ist konzentriert, wuchtig, und ist vor allem authentisch. Man spürt seine Präsenz, seine Aura, er gestikuliert, lehnt sich vor, lehnt sich zurück, dreht sich mir zu und wartet mit charmanter Neugierde auf meinen nächsten Einwurf. Reiten wir gemeinsam die Welle.

Als Schauspieler, ob auf der Bühne oder vor der Kamera, schlüpft in die unterschiedlichsten Rollen und füllt ihr Vakuum – mit dem Klang seiner Seele, wie ich hinzufügen möchte. Prägen ihn die Figuren? Keine Antwort. Auch zu komplex? Ich muss schmunzeln. Es sind der Werther, Mephisto, der Jedermann. In „Die Vorstadtweiber“ spielt der den schwulen Politiker und Kanzlerkandidaten Dr. Joachim Schnitzler. In dem Thomas Mann Epos ist er Golo Mann, in Bertha von Suttner ihr jugendlich überschwänglicher Ehemann, als blinder Kommissar ermittelt er und als Reinhard Heydrich leitet er die Wannseekonferenz. Was für ein Repertoire.

Mehrfach wurde er mit Klaus Kinski verglichen, der zwei Tage nach ihm Geburtstag hat. Letzterer schien sich aufzulösen in dem Dämonenhaften. Ist Hochmair die helle Variante davon, strahlender, freundlicher, komplizenhafter? Kurz hänge ich diesen Gedanken nach, ein großes Kompliment, das jedoch die falsche Schublade öffnet.

Philipp und ich, wir beide hatten das Gefühl in der falschen Familie gelandet zu sein, Findelkinder, Misfits und dazu mit einer ausgeprägten Leseschwäche. Vielleicht können wir uns deswegen so viel merken, wir hören anders zu. Er lässt sich die Texte seiner Stücke vorlesen und fühlt sich in die Melodie der Dialoge ein. Ein aufreibender Prozess bis die Rolle sitzt. Er kann sie anschließend immer wieder neu abrufen, versehen mit den Nuancen der wechselnden Regisseure.

2018 sprang er spontan ein für den erkrankten Tobias Moretti in der Rolle des „Jedermanns“ von Hugo von Hoffmannsthal. Wieder ein Schlüsselerlebnis, in dem er sich der enormen Anforderung stellte, ohne wirklich proben zu können. „Ich will da rein!“ hört man ihn hämmern und meint, die geballte Faust durch die Luft schnellen zu sehen. Der glückliche Zufall ist ein gern gesehenen Geselle.

„Philipp denkt mit dem Körper“, kommentierte Nicolas Stehman, Regisseur von Faust I und II am Thalia Theater, das Spiel von Hochmair auf der Bühne. Ist es nicht bei allen großen Künstler*innen so? Jackson Pollock, Josef Beuys, Maria Abramovicz… Es muss körperlich sein, um in dem schöpferischen Prozess die Tiefe und Wahrhaftigkeit hervorzuholen.

Hochmair liebt die großen Klassiker, Goethe, Hofmannsthal, Schiller, Kafka … Erstaunlich, wie geduldig sich dieses Werke auch nach Jahrhunderten noch ausdehnen lassen, geduldig und mächtig. In seinem Vertrag, in seiner Darstellung macht sie aktuell und gegenwärtig, modernisiert ihre Sprache durch die Verschiebung ihres Klangs. Am liebsten wäre er alles gleichzeitig. Jedermann Reloaded!

Ist er ein Getriebener, ein Rastloser, ein Nomade? Er bejaht es umgehend, es würde ihm Spaß bereiten, aus dem Koffer zu leben. Dabei schaut er mich an. Kann es sein, dass hinter seinen lebendigen Augen ein leichter Zweifel liegt? Heimat, was ist das? Zu komplex? Gut, dann lachen wir es weg.

Barfuß geht er durch die Straßen, barfuß kommt er zu uns hinein. Er will den Boden unter den Füßen fühlen, es würde ihn erden. Irgendwann meldet sich zum Ende des Gespräches ein langjähriger Freund zu Wort. Was er an Philipp so schätzen würde, wäre sein unglaublicher Mut, sich ständig neu einzulassen, Herausforderungen anzunehmen, auch auf die Gefahr hin zu scheitern. Und dabei bleibt er uneitel und er selbst. „No fear, no envy, no meaness“, zitiere ich Bob Dylan. Ein schönes Schlusswort, das auch für meinen Gast gilt. Je mehr ich über ihn nachdenke, ihn beoachtete, seine Bewegungen auf der Bühne studiere, seine Aura, seine Verbindung zum Publikum, umso eher ist er der Schamane Jim Morrison als der besessen rauschhafte Kinski. Aber lassen wir die Vergleiche: Hochmair ist Hochmair!

Danke Philipp für diesen einzigartigen Abend, der uns allen in Erinnerung bleiben wird. Ich freu mich schon auf Deine Buchvorstellung bei uns in Kampen auf Sylt.