Der Zeitpunkt für den gestrigen IT’S A DIENSTAG Talk konnte kaum besser gewählt sein. Wir alle standen noch unter dem Eindruck der Amtseinführung des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Jenen, die abgeklärt meinten, sie hätten es doch genau so erwartet, muss ich widersprechen. Es war schlimmer, und ich will mir bewusst meine tiefe Betroffenheit nicht nehmen lassen. Mein Special Guest ist Carsten Maltzan, Kommunikationsexperte mit Schwerpunkt Krisen-PR, Journalist, Regierungs- und Pressesprecher in den Bereichen Politik und Wirtschaft, parteilos.

Eingeladen sind Freund*innen und Bekannte, denen es nicht egal ist, wie es um unsere Welt bestellt ist. Ihre Gespräche sind gerade an diesem Dienstag andere, als die, die man üblicherweise im Zusammenhang mit Mode und Boutique erwartet. Aber Ihr wisst es ja schon längst: Fashion ist meine Klammer.

Carsten benutzt gleich zu Beginn den Begriff der „Zeitenwende“. Es gibt solche einschneidenden Tage, wie nun der 20. Januar 2025, an denen man sich später fragen wird: Wo warst Du, als Donald Trump seinen Eid schwor? – Ähnlich wie sich die Älteren fragen, wo sie waren, als John F. Kennedy ermordet wurde? Wo warst Du, als die Flugzeuge in das World Trade Center rasten? Und wo wart Ihr, als Russland den Angriff auf die Ukraine startete?

Amerika ist fern und nah, das dortige innenpolitische Geschehen mag uns nicht interessieren. Sollen sie sehen, was sie davon haben, wird sich manch einer sagen. Trotzdem „Zeitenwende“, weil die Auswirkungen, die das aktuelle Regierungsgebaren auf unsere Staatengemeinschaften hat, enorm sein werden, auf jeden Fall nicht absehbar. Es geht um die Verrohung der Poltik. Emotionale Argumente folgen keiner Logik mehr, weil sie nicht auf Fakten beruhen. Eine toxische Mischung ist entstanden von Macht-Willkür gepaart mit einer beängstigenden Ballung von Geld und medialem Einfluss. Im Kapitol grölen und pfeifen die Claqueure Donald Trumps. „Follow the money“, sagte Deep Throat in „Die Unbestechlichen“ zu Robert Redford alias Bob Woodward.

„Demokratie ist der tägliche Kampf um das bessere Argument“, zitiert Carsten den Satz seiner früheren Mentoren, nur, dass er nicht mehr gültig scheint. Die Lügner dürfen lautstark lügen und die Gegner respektlos niedermachen. Es ist anstregend geworden, sich dazwischen seine eigene seriöse Meinung zu bilden, sich in dem Dschungel von Nachrichten zurechtzufinden, ein verantwortungsvoller Wähler zu sein.

Wir diskutieren über die Rolle des Journalismus, die fehlende Zeit für eine gründliche Recherche und einen sorgfältigen Fakten-Check. Effekthascherei, Gewalt, Hetze und Fake News wuchern in den Social Media. Und die Politiker? Wie können sie von einer Talkshow zum nächsten Interview die besonnenen Antworten finden, und das in einer Welt, die immer komplexer wird?

Wie wäre es, wenn einer mal ehrlich sagt, er müsse darüber nachdenken? Er bräuchte Ruhe, um eine Strategie nicht für die nächsten vier sondern für die nächsten zehn Jahre zu entwerfen? Es wäre von Vorteil, erfordert Mut und ist gleichzeitig gefährlich, denn in diese Lücke stoßen die Demagogen mit ihren plakativen Lösungen.

Es ist eine ungewöhnlich intensive Atmosphäre im Raum. Wir hören Carsten Maltzan zu, damit vielleicht er uns erklärt, was wir nicht verstehen, oder zumindest es ordnet und benennt. Er übernimmt die Rolle ohne die Überheblichkeit des vermeidlich Besserwissenden. Klar und analytisch ist seine Sprache, gespickt mit Wissen und einem nicht Müde werdenden Verlangen, die Dinge zu begreifen.

Wohnraum, Rente, Gesundheitswesen. Drei seiner großen Kernthemen, zu denen die Politik keine Antworten findet. Er erwähnt die Angst der Menschen, dass das Geld trotz harter Arbeit nicht reichen könnte. Gleichzeitig spricht er von seiner eigenen Nervosität, dass die Wähler vorschnell auf populistische Lösungen einschwenken und die tösende Zeitenwende die verfassungsfeindlichen Gruppierungen beflügelt.

Fast wirkt es, als würden wir angesichts der erdrückenden Probleme miteinander ins Stocken geraten. Bloß das nicht! Wie kommen wir ins Handeln? Carsten erzählt, und ich spüre seine Begeisterung, von dem Verein „Wirschaft für einen weltoffenen Norden“. Er hat zum Ziel, Unterstützung für mehr demokratischen Zusammenhalt zu geben. Firmen sollten motiviert werden, ihr ethisches Manifest zu verfassen. Unternehmen und ihre Mitarbeiter*innen erhalten in den nächsten Tagen Entscheidungshilfen zur Bundestageswahl auf Basis wissenschaftlicher Auswertungen. – Je mehr verlässliches Wissen wir uns aneignen, desto weniger sind wir politisch verführbar.

Und dann MÜSSEN wir wählen gehen für unsere Werte, Bedürfnisse und Visionen in die Zukunft. Es darf keine Protestwahl sein für Parteien, die unsere Rechtstaatlichkeit nicht respektieren: „(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Über vieles mehr wurde gesprochen. Ein Salon besitzt diese wunderbare Anwesenheit der Gäste, der Diskurs entsteht in dem Hier und Jetzt. Dieser Beitrag kann nur einen Bruchteil davon widergeben. Es fehlen der Duft der Kerzen, die kleinen Gespräche zwischendurch, das Glas Wein in der Hand, das Hundebaby, das aufgeregt schnuppert, der Raum und seine Energie. – Danke Carsten. Sicherlich war es nicht das letzte Mal, dass Du mein Gast bist!

PS: Das folgende Video wurde mir soeben geschickt. Es ist ein paar Stunden alt und zeigt die Bischöfin Mariann Edgar Budde in ihrem Gottesdienst am Tag nach der Vereidigung des Präsidenten. Es gehört für mich in diesen IT’S A DIENSTAG und in alles, was noch kommen wird.