Wenige Fotos gibt es von diesem Abend. Wir schalten unsere Handys aus, damit kein Summen und Klingeln uns stört, kein kurzes Nachschauen, wer sich gemeldet haben könnte oder was gar die Breaking-News sind. Wer ist mittlerweile nicht abhängig von diesem automatischen Check, was draußen in der Welt passiert. Der Schamanin Annette Lachmann geht es jedoch darum, uns das Jetzt spüren zu lassen in dem dafür “gereinigten und geöffneten” Raum. Ich freue mich sehr, dass sie erneut mein Talkgast ist und möchte mehr erfahren über Peru, was eigentlich ein Schamane ist und auf was für eine Reise sie uns am Ende führen wird.

Sie spricht schnell, als würden die Wörter ihren Gedanken nicht nachkommen, als wäre alles in einer vibrirenden Gleichzeitigkeit. Wahrscheinlich ist es auch so. Das “Getrenntsein” überwinden, war eines ihrer quälenden Sehnsüchte damals mit Ende vierzig, da wusste sie noch nichts von ihrer Bestimmung. Sich nicht mehr fremd unter Menschen fühlen, die man einst liebte, nicht mehr abgespalten sein von allem bis hin zu der Erde, auf der man steht. Dann fiel ihr ein Buch in die Hände über Schamanen. Es folgte ein Seminar und anschließend eine Reise nach Peru zu den Q’eros, den Nachfolgern der Inkas, im Hochland der Anden. “Da bist Du ja endlich, wir haben auf Dich gewartet”, empfingen sie die Stammesältesten. Neben ihr stand ein Jaguar mit schimmerden Fell, sichtbar für die, die wissen.

Wir verwenden den Begriff “Schamane” wie ein modisches Trendwort. Im Netz gibt es die verschiedensten Angebote, Kurse, Literatur, Selbstfindungsseminare. Aber man kann sich nicht einfach als “Schamanin” bezeichnen, man muss dafür von anderen Schamanen auserwählt werden und bei ihnen eine Ausbildung machen, um die eigenen Kräfte zu entdecken und in die richtige Anwendung zu bringen. Ihr erster Lehrer war Hirnforscher und Schamane zugleich und verknüpfte das alte spirituelle Wissen mit den modernen Wissenschaften. Es folgten erneute Reisen zu den Q’eros, den Aymaras am Titicacasee, zu den Heilern im Amazons Urwald, wo auch die Nebelmenschen leben, die sich unsichtbar machen können. Sie lacht: Wir müssen nicht alles verstehen und doch existiert es. Die Welt ist animistisch, alles hat eine Seele, der Baum, der Stein, die Flüsse …, und ist mit allem verbunden. Sie ist nun die, die Brücken baut.

“Ich bin eine Erinnererin”, sagt sie an irgendeiner Stelle. Wenn sie den Auftrag erhält, kann sie unseren verborgenen Spuren folgen, uns “tracken”, dorthin, wo sich die frühen Verletzungen befinden, der Schmerz in unserem Inneren, den wir sorgsam umhüllt haben, damit wir dem Alltag standhalten. Solche Risse kann man heilen, erzählt sie weiter mit diesem Lächeln, in dem etwas Wundersames hängt.

In Ländern, die indigen geprägt sind wie Lateinamerika, Regionen Nordamerikas, den Aboriginis in Australien oder auf Island, dort ist ein schamanisches Wissen auf natürliche Weise verankert. Wir in Europa haben die Hexen verbrannt und die Alchimisten abgeschafft. Wann haben wir den Zugang zu diesen Welten verloren, frage ich Paco, den Philosophen. “Mit Beginn der Philosophie”, antwortet er leise und nachdenklich. Unsere westliche Gesellschaft beruht auf der Trennung von Mensch und Natur. Wir glauben, was wir faktisch beweisen können. Alles andere ist Scharlatanerie oder mit verstecktem Scham besetzt, darf nicht sein.

Lasst uns eine Reise machen mit dem Jaguar über den Regenbogen. Schließen wir die Augen und folgen dem Klang von Annettes Rassel, einem Instrument, in das die Schamanen ihre Kräfte hineinrufen. Der rhythmische Klang versetzt sie in eine Art Trance, die uns gemeinsam auf die Reise führt.

Weich ist ihre Stimme mit einem leichten Singsang, der uns durch die Bilder gleiten lässt, die zu einem Film werden, zu sinnlichen Landschaften, die wir mit unseren Sinnen durchwandern, wenn es denn funktioniert, wir uns einlassen, das Drumherum ausblenden, die Augen geschlossen halten. Wer Glück hat, dem öffnet sich das Reich unter der Erde, der tastet sich entlang der Wurzeln hoch auf die Bäume bis in die Lüfte. Welches ist das Tier, das sich uns zur Seite gesellt? Jemand hat ein Eichhörnchen gesehen, einen Condor oder einen großen weißen Vogel … Können wir das Tier umarmen und seine Wärme spüren? Die Rassel geht mal schneller, als würden sie eilen, wird wieder ruhiger, verweilt, bis sie sich wieder aufschwingt, um uns langsam zurückkehren zu lassen.

Die einen haben nichts gespürt, wollten “entwischen”, wie Annette schmunzelnd bemerkt. Wer weiß, vielleicht wird uns ein Tierwesen in einem der nächsten Träume begegnen, um uns etwas zu übermitteln, das uns weiter hilft auf den nächsten Schritten. Wofür mag es stehen, für Schutz oder Klugheit, Kraft oder Empfindsamkeit? “Wie Du beginnst auf dem Weg hinauszulaufen, erscheint der Weg.” Als wir uns später verabschieden meint eine Freundin, sie könne jetzt dreimal um Alster laufen, so viel Energie hätte sie.

Kontakt: Annette Lachmann, Rainbow Shaman, Hamburg.

Annette und ich sind noch auf die Buch-Party von Philipp Hochmair im Thalia Theater eingeladen. Die Schamanin und ich. Wir stehen im Foyer und betrachten die illustre Gesellschaft. Erst einmal ankommen, geduldig warten, bis wir erste bekannte Gesichter ausmachen, begrüßen und Annette einigen von ihnen ein Schutzarmband umlegt. Sie hält deren Arm, liebevoll, strahlend, haucht ihnen Wünsche ein. Mag es nur mir so vorgekommen sein, aber es fühlte sich an, als würde der Saal sich verwandeln, freundlicher und zugewandter werden. Wir gehörten auf jeden Fall zu den Letzten, die weit nach Mitternacht gingen.